House of Grace – Haus der Gnade – heisst das Waisenhaus für HIV-infizierte Kinder in Chantabhuri im Osten Thailands. 48 Kinder haben hier bei der Familie von Pfarrer Kitisak Limtanakulchai ein neues Zuhause gefunden. Sie wurden von Verwandten oder Bekannten deponiert, nachdem ihre Eltern an Aids gestorben waren. Den Löffel in der Hand, sitzen sie im Esssaal und singen gemeinsam vor dem Mittagessen ein Lied.
Einer jedoch hört schweigend zu. Der neunjährige Boonkerd Bootharn ist ein ruhiges und scheues Kind. Sprechen tut er kaum, weil er auch schlecht hört, eine Folge seiner HIV-Infektion. Nur sein Blick schweift aufmerksam durch den Raum.
Ins Spital gebracht und nicht mehr abgeholt
Als Boonkerd drei Jahre alt war, erhielt Waisenhaus-Gründer Kitisak Limtanakulchai einen Anruf aus dem Spital. Ein Vater habe sein krankes Kind gebracht und nicht mehr abgeholt, ob er es nicht aufnehmen könne.
Weder seine Mutter noch sein Vater hatten Papiere, so dass auch Boonkerd nicht als thailändischer Staatsbürger anerkannt wurde. Die Mutter war bei der Geburt gestorben, der Vater arbeitete auf einer Plantage.
Boonkerd erhielt im Spital zwar eine Geburtsurkunde, aber da der Vater staatenlos war, durfte er sie nicht unterschreiben. Einzig Boonkerds winzige Fingerabdrücke auf der Geburtsurkunde sind der Beweis, dass er existiert. Die Registrierungsnummer beginnt mit Null – null für staatenlos.
Viele brauchen teure Medikamente
Pfarrer Limtanakulchai spricht von einem Riesenproblem: Weil er HIV infiziert ist, braucht Boonkerd teure Medikamente. Für Staatsbürger gibt Thailand diese Medikamente gratis ab, aber nicht für Staatenlose. «Im Moment ist das Spital noch tolerant und hilft uns, aber das kann sich ändern, wenn der Direktor wechselt», sagt Limtanakulchai.
Das andere Problem ist die Ausbildung. Boonkerd kann zwar in die Schule, aber er wird nie einen Abschluss machen können.
«Staatenlose sind de facto unsichtbar. Sie besitzen keine Dokumente, sie existieren nicht», unterstreicht Johanna Roldan. Sie arbeitet beim UNO-Flüchtlingshilfswerk in Bangkok und versucht gemeinsam mit der thailändischen Regierung, Lösungen für die mehr als 400'000 Staatenlosen in Thailand zu finden.
Die meisten Staatenlosen gehören laut Roldan verschiedenen Stammesvölkern an, die in den Bergen Thailands leben. Staatenlos seien aber auch viele Waisenkinder, Kinder von Flüchtlingen oder Menschen, die keine Staatszugehörigkeit mehr haben, weil sich Grenzen verschieben.
Staatenlose sind de facto unsichtbar. Sie besitzen keine Dokumente, sie existieren nicht.
«Man kann sich nicht vorstellen, was das bedeutet. Reisen zu können, zu heiraten, zu arbeiten, zum Arzt zu gehen. Für uns sind das ganz selbstverständliche Grundrechte. Nicht so für Staatenlose.»
Das UNO-Flüchtlingshilfswerk hat deshalb eine weltweite Kampagne mit dem Namen «Belong» gestartet, das Recht dazuzugehören. Die thailändische Regierung ist Teil davon und zeigt grossen politischen Willen, das Problem im Land zu lösen. Ihr Ziel ist es, bis 2024 Staatenlosigkeit in Thailand zu beenden. Deshalb hat das Kabinett im vergangenen Dezember eine Resolution verabschiedet, die es Staatenlosen ermöglicht, unter vereinfachten Kriterien die Staatsbürgerschaft zu bekommen.
Im Waisenhaus in Chanthaburi schwingt sich der kleine Boonkerd auf einer Schaukel in die Höhe. Er weiss noch nichts von seiner ungewissen Zukunft. Sein Vormund Limtanakulchai traut der neuen Resolution noch nicht.
«Ich habe so viele Papiere von Boonkerd unzähligen Regierungsstellen vorgelegt. Doch ich wurde überall abgewiesen. Ich glaube noch nicht daran, dass jetzt alles einfacher wird.» Hoffen jedoch tut er es. Es ist die Hoffnung, dass Boonkerd das Recht hat, zu existieren.