Eine junge Mutter gibt ihrem Baby die Flasche. Die Nachmittagssonne taucht die beiden auf dem Bett in ein goldenes Licht. Riesige Plüschtiere in allen Farben versprechen Geborgenheit, und dass alles gut wird.
Eine idyllische Szene in einem der grössten Townships nördlich der südafrikanischen Hauptstadt Pretoria. Das Baby gluckst zufrieden, die Mutter strahlt dank ihrer Glückshormone, aus der Ecke des Zimmers beobachtet eine andere Frau die Szene.
Es wäre alles perfekt, wenn die Frau in der Ecke nicht bereits mit 36 Jahren Grossmutter geworden wäre, Grossmutter vom nun einjährigen Baby, das dessen Mutter mit 16 Jahren auf die Welt gebracht hat.
«Ich habe mich geschämt»
Blessing Mokoena, die heute 17-Jährige, hat erst nach fünf Monaten gemerkt, dass sie schwanger ist.
Ich habe mich so sehr dafür geschämt, dass ich Schande über meine Familie bringe.
«Es war ein Schock. Und ich habe mich so sehr dafür geschämt, dass ich Schande über meine Familie bringe und sie auch zusätzlich finanziell belaste», erzählt sie im Haus ihrer Grossmutter, wo sie wohnt. Die Grossmutter, dank Blessing mit 55 Jahren bereits Urgrossmutter, nickt bestätigend.
Der Vater von Blessings Sohn ist gleich alt wie sie, und im Unterschied zu den meisten Vätern anerkennt er seinen Sohn und unterstützt ihn finanziell, so gut er kann.
Wenn Verhütung versagt – oder fehlt
Blessing behauptet, das Kondom sei beim Sex geplatzt. Die Sozialarbeiterin, die das Interview aus der Ecke beobachtet – und hier ist, um sicherzustellen, dass wir die junge Frau respektvoll befragen – verdreht die Augen.
Später darauf angesprochen, meint sie, dass dies eine gängige Ausrede sei. Sie glaube nicht, dass die beiden verhütet hätten. Kaum ein afrikanischer Mann wolle ein Kondom gebrauchen und die Frauen seien zu schüchtern, um darauf zu bestehen.
Mehr als 100'000 Babys von Minderjährigen pro Jahr
Und schon sind wir mitten im Thema. Ein Thema, das jeden Monat zu emotionalen Debatten im Radio führt. Mehr als hunderttausend Babys werden pro Jahr von minderjährigen Frauen geboren. Warum? Was tun? Diese Fragen treiben alle um. Auch Lynne Cawood, die Direktorin von «Childline» in Gauteng.
Die NGO «Childline» setzt sich seit Jahrzehnten für Kinder ein und bietet ihnen rund um die Uhr kostenlose telefonische Beratung an. «Wir haben mittlerweile an den Schulen obligatorische Sexualkunde, in allen Townships sind Sozialarbeiterinnen unterwegs, wir verteilen Kondome und dennoch scheint das alles nichts zu nützen», sagt Lynne Cawood.
Lynne Cawood erklärt sich die steigende Zahl von Schwangerschaften von Minderjährigen mit Armut und einem Klima der Gewalt. «Ein Drittel aller jungen Mütter ist zwischen zehn und dreizehn Jahre alt. Eine absolut schockierende Statistik. Per Gesetz ist das Vergewaltigung.»
Die meisten Kinder könnten sexuelle Übergriffe durch einen Onkel oder einen Nachbarn nicht erkennen, weil ihr eigener Körper ihnen fremd sei. Das zweite Problem sei die steigende Armut. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung oder rund dreissig Millionen Menschen leben an der Armutsgrenze.
Sugardaddys kaufen den Mädchen Essen und Kosmetika. Und wenn sie die Mädchen schwängern, lassen sie sie fallen.
Das nutzen die sogenannten «Sugardaddys» schamlos aus. Sugardaddys sind ältere, verheiratete Männer, die vor den Schulen mit ihren protzigen Autos herumlungern und junge Schülerinnen verführen. «Sie kaufen ihnen Essen, Kosmetika, und wenn sie die Mädchen schwängern, lassen sie sie fallen», sagt Lynne Cawood.
Die Mädchen seien noch nicht reif genug, um diese Taktik zu durchschauen. Zudem würden viele in vaterlosen Haushalten aufwachsen und seien unbewusst auf der Suche nach einem Vaterersatz.
«Über Sex zu reden, ist immer noch tabu»
Das Sugardaddy-Phänomen kennen alle im Township, so auch Patricia Mokoena, die Mutter der 17-jährigen Blessing. «Wir alle warnen unsere Töchter, aber sie hören nicht auf uns. Es ist ein Glück, dass Blessing wenigstens mit einem gleichaltrigen Jungen Sex hatte, der sie unterstützt.»
Wir alle reden viel zu wenig über Sex. In unserer Bevölkerung ist das bis heute ein Tabuthema.
An der frühen Schwangerschaft ihrer Tochter gibt Patricia Mokoena auch sich selbst die Schuld. «Wir alle reden viel zu wenig mit unseren Kindern über Sex. In unserer Bevölkerung ist das bis heute ein Tabuthema, obwohl es alle machen», seufzt sie.
Was tabu sei, sei automatisch interessant. Weil viele Kinder in den engen Wohnverhältnissen zwar hörten, was ihre Eltern in der Nacht miteinander machten, doch es nicht wirklich verstünden, würden sie miteinander experimentieren.
Der Traum: Anwältin werden
Es habe Patricia Mokoena das Herz gebrochen, als ihre Tochter gestand, dass sie schwanger sei. «Die meisten schwangeren Teenager schliessen die Schule nicht ab und vermasseln sich so ihr künftiges Leben.» Doch Blessing sei Gott sei Dank nicht so. Sie wolle die Schule unbedingt abschliessen.
Das bestätigt Blessing, die während des Interviews mit ihrer Mutter immer wieder verschämt den Pullover über ihr Gesicht zieht und sich wohl am liebsten in ihr Zimmer verkriechen würde.
Die Lehrpersonen haben mir ihre Missbilligung lange unverhohlen gezeigt und versucht, mich aus der Schule zu mobben.
Es sei nicht einfach, weiterhin zur Schule zu gehen, sagt sie selbst. «Die Lehrpersonen haben mir ihre Missbilligung lange unverhohlen gezeigt und versucht, mich aus der Schule zu mobben. Doch ich ignorierte sie, so gut ich konnte. Ich bin nicht die Einzige an dieser Schule, die schwanger geworden ist, es gibt etliche andere Mädchen mit einem Kind.»
Blessing lässt sich von ihrem Traum nicht abbringen. Sie möchte unbedingt Anwältin werden. Dazu braucht Blessing die bestmöglichen Noten. Nur so hat sie eine Chance, ein Stipendium für ein Studium zu erhalten. Sie will eines Tages in der Lage sein, für ihre Familie zu sorgen, und hofft, dass alle irgendwann doch noch stolz auf sie sein werden.
Dass sie sich Zeit für die Schule und die Hausaufgaben nehmen kann, verdankt sie ihrer Mutter Patricia. Diese ist seit Längerem arbeitslos und kümmert sich unter der Woche um das Baby.
Dass die siebenköpfige Grossfamilie über die Runden kommt, grenzt an ein Wunder. Niemand hat Arbeit. Alle leben von den Sozialbeiträgen, die die Grossmutter erhält, und den Kinderzulagen für das Baby. Pro Monat sind das nicht einmal 50 Franken.
Erzwungenes Verhütungsmittel als Lösung?
In den Debatten um die Schwangerschaften von Teenagern wird regelmässig die Regierung aufgefordert, mehr zu tun. Ginge es nach der NGO «Childline», müssten mehr Beratungszentren in den Townships eröffnet werden.
«Wir erreichen allein in Gauteng 80'000 Menschen, und dort haben wir sicher eine Veränderung bewirken können», so Direktorin Lynne Cawood. Doch das sei bloss ein Tropfen auf den heissen Stein.
Die Regierung hat andere Pläne: Die Gesundheitsministerin von Gauteng verkündete Anfang dieses Jahres, dass eine Art obligatorische Schwangerschaftsverhütung für Minderjährige eingeführt werden soll. Künftig solle das Implantat «Implanon» auch ohne Einwilligung der Kinder oder Teenager eingesetzt werden. Die schriftliche Einwilligung der Eltern reiche aus.
Diese Ankündigung löste Entsetzen unter den NGOs aus. Sie verstosse gegen sämtliche Menschenrechte und die Verfassung. Damit werde das Gesundheitsministerium bei den Gerichten nie durchkommen. «Für ein solches Implantat braucht es zwingend auch die Einwilligung der Betroffenen», sagt Lynne Cawood, sichtlich entsetzt.
In den Townships wird der Plan mit den Verhütungsimplantaten begrüsst. Patricia Mokoena hofft, dass auf die Worte des Ministeriums Taten folgen. «Ein solches Implantat, von der Regierung finanziert, würde die Zahl der Schwangerschaften bestimmt senken.» Sie sei ausserdem nicht der Meinung, dass es dafür die Einwilligung der Töchter brauche.
Die Mütter oder Grossmütter müssen es ausbaden – als ob wir nicht schon genügend Probleme hätten.
Denn die Schwangerschaften würden nicht nur die Teenagermütter selbst betreffen, sondern auch deren Mütter: «Wir müssen es ausbaden. Wir oder die Grossmütter – als ob wir nicht schon genügend Probleme hätten.»
Trotz des Widerstands unter den NGOs hält die Provinzregierung von Gauteng an ihrem Plan fest. Dazu äussern wollte sie sich allerdings nicht. Wann und ob der Plan umgesetzt wird, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.