Das Wichtigste in Kürze
- Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière wird nicht müde, vor Terroranschlägen im Land zu warnen.
- Nun wird ein neues System mit Namen «Radar» eingeführt: Es soll erlauben, Aussagen zu treffen, welche Personen möglicherweise einen Anschlag planen.
- Die Software weckt Erinnerungen an den Science-Fiction-Film «Minority Report».
Das war die Schockmeldung, vor der sich Deutschland immer gefürchtet hatte: Am 19. Dezember 2016 tötete ein IS-Attentäter mit einem LKW in Berlin 12 Menschen und verletzte 48 zum Teil schwer.
Der Mann war den Behörden als «Gefährder» bekannt. Aber in Deutschland gibt es rund 600 solche Gefährder. Allein um sie rund um die Uhr zu beobachten, bräuchte Deutschland das zehnfache an Beamten.
Was die Sache noch schwieriger macht: Es gibt 16 Bundesländer mit 16 verschiedenen Polizeigesetzen. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise kann man die Telekommunikation von Gefährdern nicht überwachen, ausser es läuft ein Ermittlungsverfahren.
Nicht ganz so cool wie im Kino
Seit 2004 haben Bund und Länder ein gemeinsames Terrorismus-Abwehrzentrum eingerichtet, und seit Oktober 2016 wird ein Programm namens «Radar» eingeführt. Bis im Juni sollen alle 16 Bundesländer damit ausgerüstet sein.
Valerie Profes leitet im Bundeskriminalamt in Wiesbaden eine Abteilung für Fall- und Risikoanalyse. Sie koordinierte die Entwicklung des Programms. «Ziel ist es, aus diesem Personenkreis diejenigen herauszusuchen, von denen das grösste Risiko für eine Gewalttat in Deutschland ausgeht.»
Im Hollywood-Film «Minority Report» von Steven Spielberg geht das so: Ein hektischer Tom Cruise hantiert auf einem grossen Touch-Screen mit Bildern, am Ende fällt ihm eine Holzkugel mit dem Namen einer Person in die Hand, die in der Zukunft ein Verbrechen begehen will. Die Polizisten von der «Pre-Crime-Division» rennen los, Handschellen klicken.
Personen im islamistischen Spektrum führen oftmals nur einmal eine Tat aus. Deswegen geht es nicht um eine Rückfallgefahr, sondern um das Ausführungsrisiko.
Ganz so wie im Science-Fiction-Streifen sei es aber nicht, sagt Profes: «Wir können keine Anschlagswahrscheinlichkeit voraussagen. Es geht nur darum, zu identifizieren, von welchen Personen ein höheres Risiko ausgeht – wer tatsächlich einen Anschlag ausführt können wir ebenso wenig vorhersagen wie den Zeitpunkt.»
Es gibt nicht einmal ein Softwareprogramm, das am Ende einen Namen ausspuckt: «Dahinter ist kein versteckter Algorithmus oder dergleichen. Wir haben einfach versucht, ein Berechnungsmodell zu entwerfen, das für den Polizisten transparent und leicht verständlich ist.»
Psychogramm eines Terroristen
Im System «Radar» werden einerseits polizeibekannte Daten gesammelt und gewichtet. Zum Beispiel: Gibt es Hinweise, dass jemand eine Straftat begehen könnte? Dann werden Erkenntnisse analysiert: Zum Beispiel, wenn sich zwei Personen per Telefon über den Kauf von Sprengstoff unterhalten, wird auch abgeklärt, ob sie überhaupt die Mittel und Fähigkeiten dazu haben.
Das ist die bisher übliche Analyse der Sachverhalte. Neu kommt nun eine Art Psychogramm der Persönlichkeit dazu: «In der Methodik haben wir uns am Vorgehen bei rückfallgefährdeten Sexualstraftätern orientiert: Die betreffenden Personen sind schon einmal auffällig geworden, eben durch eine Vergewaltigung. Dann gilt es zu bewerten, wie hoch die Rückfallgefahr ist.»
Terrorbekämpfung 2.0
Was ist der Werdegang, wie ist die aktuelle Situation der Person, was sind die sogenannten Umwelteinflüsse, zum Beispiel Familie oder Arbeitsplatz; diese Analyse kommt neu hinzu. Mehrere Dutzend Merkmale werden standardisiert abgefragt, auch solche, die ein Risiko verkleinern.
Haben das Polizei, Staats- und Verfassungsschutz bislang nicht gemacht? «Es gibt, wie gesagt, bei anderen Delikten Instrumente für die Rückfallgefahr. Im Bereich des Staatsschutzes, insbesondere im islamistischen Bereich, gibt es solche Instrumente nicht.» Dort gehe es, so Profes, auch nicht unbedingt um eine «Rückfall-», sondern um eine «Ausführungsgefahr».
Die Prognose ist aber besonders wichtig, weil «Personen im islamistischen Spektrum oftmals nur einmal eine Tat ausführen. Deswegen geht es nicht um eine Rückfallgefahr, sondern um das Ausführungsrisiko.»
Am Schluss kommt eine Zahl raus.
Das Bundeskriminalamt in Wiesbaden hat das standardisierte System «Radar» zusammen mit der Universität Konstanz entwickelt, und es gibt auch eine Verbindung zur Schweiz – aber nicht zur Universität Zürich, wie gelegentlich behauptet wird: «Es geht um die Universität Konstanz, aber die handelnden Personen sind auch beim Psychiatrisch-Psychologischen Dienst in Zürich beschäftigt. So kommt die Verbindung zur Schweiz zustande.»
Der Attentäter von Berlin war den Behörden vor seiner Tat bekannt, und dennoch haben sie die vorhandenen Puzzleteile nicht richtig zusammengesetzt. Natürlich hat das Bundeskriminalamt im Nachhinein alle Daten des Täters eingegeben: «Am Schluss kommt eine Zahl raus.» Wie hoch diese Zahl war, will Valerie Profes nicht sagen. Aber es ist bekannt. Es war eine der höchsten, die das System je ausgespuckt hat.