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Strafrecht in Österreich «Verschärfung kann sich kontraproduktiv auswirken»

In Österreich hat die Regierung beschlossen, die Mindest- und Höchststrafen bei Gewaltverbrechen zu verschärfen. Bedingte Haftstrafen für Vergewaltiger wird es nicht mehr geben. Allerdings sagen Experten, eine Verschärfung des Strafrechts bringe nichts. Meret Baumann ist Korrespondentin der NZZ in Wien und erklärt, wieso.

Meret Baumann

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Baumann ist seit 2013 Österreich- und Osteuropa-Korrespondentin der NZZ. Die studierte Juristin lebt in Wien.

SRF News: Wie sinnvoll ist diese neuerliche Verschärfung des Strafrechts?

Meret Baumann: In der Darstellung der Regierung ist diese Verschärfung sehr sinnvoll. Aber wie angemerkt, bezweifeln die meisten Experten die Wirksamkeit der Strafen in solchen Fällen.

Es ist weitgehend Symbolpolitik. Man hat den Strafrahmen erst vor zwei Jahren angepasst und muss jetzt die Wirkung abwarten.

Das Strafrecht in Österreich wurde bereits verschärft. Ist die neue Verschärfung nun Symbolpolitik oder tatsächlich notwendig?

Ich glaube, in Bezug auf die Verschärfung des Strafrechts ist es weitgehend Symbolpolitik. Man hat den Strafrahmen erst vor zwei Jahren angepasst und muss jetzt die Wirkung abwarten. Es dauert jeweils eine Weile, bis man Urteile vorliegen hat.

Wenn man weiss, dass eine sehr harte Strafe folgen kann, wird sich ein Opfer gut überlegen, ob es seinen eigenen Ehemann – von dem es eventuell finanziell abhängig ist – anzeigen will.

Aber das Massnahmenpaket der Regierung enthält noch andere Punkte, etwa mehr Geld für Frauenhäuser und vor allem, dass die so genannte Täterarbeit früher einsetzen soll. Bisher ist es so, dass Gewalttäter erst nach einem Urteil verpflichtend sogenannte Anti-Gewalt-Trainings besuchen müssen. Fachleute sind der Meinung, dass sie in gewissen Fällen eine Gewalteskalation verhindern können. Das ist sehr sinnvoll.

Staatssekretärin Karoline Edtstadler hat am Mittwochabend im Fernsehen Position bezogen. Sie sagt, dass die Opfer sehen wollten, dass etwas geschieht. Die Regierung handelt demnach richtig?

Die Statistik zeigt, dass es sich bei Vergewaltigungsdelikten in über 80 Prozent der Fälle um eine Beziehungstat handelt. Das sind Affekthandlungen. Ich denke nicht, dass sich ein Täter im Affekt überlegt, ob er künftig ein Jahr, zwei Jahre oder drei Jahre ins Gefängnis muss. Das ist der eine Punkt.

Der andere ist, dass Experten sagen, die Verschärfung könne sich sogar kontraproduktiv auswirken, weil es eben um Beziehungsdelikte geht. Wenn man weiss, dass eine sehr harte Strafe folgen kann, wird sich ein Opfer gut überlegen, ob es seinen eigenen Ehemann – von dem es eventuell finanziell abhängig ist – anzeigen will. Es könnte sein, dass damit die Hürde, Anzeigen zu machen, für Opfer höher wird. Diesen Kritikpunkt widerlegt Edtstadler meines Erachtens nicht.

Trotzdem scheint mit dem Strafrecht irgendetwas nicht zu stimmen. Die Zahlen für das so genannte Ost-West-Gefälle in Österreich sind bekannt: In Wien werden in vergleichbaren Fällen weit härtere Urteile gesprochen als weiter westlich.

Der Strafrahmen ist derzeit der gleiche im ganzen Land. Wenn der Vollzug oder die Urteile unterschiedlich sind, weiss ich nicht, ob die Änderung des Strafrechts etwas daran ändern wird. Ich kann mir gut vorstellen, dass auch künftig der Strafrahmen im Osten weiterhin strikter ausgeschöpft wird.

Die Zahl der Gewalttaten gegen Frauen in Österreich ist erschreckend hoch. Wird die Rechtsverschärfung Ihrer Ansicht nach daran etwas ändern?

Nein. Ich glaube, vor allem frühere Täterarbeit wird etwas bewirken. Meines Erachtens ist das eigentliche Problem, dass es in nur zehn Prozent der Anzeigen wegen Vergewaltigung zu einem Urteil kommt. In den meisten Fällen wird das Verfahren ohne Urteil eingestellt. Das ist für die Opfer extrem frustrierend. Sie fühlen sich nicht ernst genommen. Andere Frauen werden sich deshalb überlegen, ob es überhaupt etwas bringt, das auf sich zu nehmen. Das ist ein Punkt, an dem man zwingend ansetzen muss.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

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