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Streit um Arbeitsmarktreform Macron will die Gewerkschaften zähmen

Der starke Mann im Elysée wagt, woran sein Vorgänger scheiterte. Unser Korrespondent schätzt Macrons Chancen ein.

  • Frankreichs Regierung veröffentlicht heute Mittag fünf Verordnungen, die das geltende Arbeitsrecht flexibilisieren sollen.
  • Die Unternehmen setzen grosse Hoffnung in diese Reform. Die Gewerkschaften befürchten hingegen, Macht und Einfluss zu verlieren.
  • Noch warten viele Gewerkschaften ab. Am Ende könnte der Machtkampf auf der Strasse ausgetragen werden, sagt unser Korrespondent.

SRF News: Schon vor einem Jahr bekämpften die Gewerkschaften mit aller Kraft die weniger drastischen Reformen der Regierung Hollande. Werden die Gewerkschaften nun auch gegen Macrons Pläne vorgehen?

Charles Liebherr

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Seit 2014 ist Charles Liebherr Frankreich-Korrespondent von Radio SRF. Er studierte in Basel und Lausanne Geschichte, Deutsche Literatur- und Sprachwissenschaft sowie Politologie. Davor war er beim Schweizer Radio unter anderem als Wirtschaftsredaktor tätig.

Charles Liebherr: Das wissen wir noch nicht. Nur eine Gewerkschaft – die traditionsreiche CGT – hat schon zu einer Kundgebung gegen die Reform aufgerufen. Die anderen Gewerkschaften spielen zurzeit noch mit. Sie machen ihre Haltung gegenüber der Reform davon abhängig, ob die Reform des Arbeitsrechts nicht nur weniger Schutz für Arbeitnehmende bedeutet, sondern den Gewerkschaften zusätzliche Mitspracherechte gibt. Sie wollen also zunächst das Gesamtpaket beurteilen und dann entscheiden, ob sie sich der CGT anschliessen oder nicht.

Die Arbeitsmarktreform sieht eine Flexibilisierung des Arbeitsrechts vor. Müssen da nicht automatisch alle Gewerkschaften gegen diese Reform sein?

Es ist unbestritten, dass die Revision des Arbeitsrechts in Richtung Liberalisierung geht: Weniger Kündigungsschutz, weniger Branchenverträge, mehr Abkommen auf Unternehmensebene. Letztere könnten einen weniger grossen Schutz bedeuten. Das kommt sicher mehr den Arbeitgebern als den Gewerkschaften entgegen. Die Regierung hat aber auch versprochen, klarer zu definieren, wo die Gewerkschaften mehr Mitspracherecht erhalten – etwa beim Festlegen des Mindestlohnes oder auch in Gleichstellungsfragen. Da sollen die Branchen gestärkt werden; wie auch bei anderen Fragen der Arbeitsorganisation in Betrieben.

Es steht viel auf dem Spiel: Für Macron genauso wie für die Gewerkschaften.

Die Gewerkschaften können also auch ein Einfluss gewinnen. Die grösste Gewerkschaft CFDT, die als Reformgewerkschaft gilt, sieht in der Reform eine Möglichkeit, die Sozialpartnerschaft zu stärken. Viel hängt also davon ab, was das Rollenverständnis der Gewerkschaften ist: Sehen sie sich als dauerhafte Verhandlungspartner der Arbeitgeber, wollen sie also die Hand zu Kompromissen reichen? Oder verstehen sie sich als kämpferische Vertreter der Arbeitnehmer, die in Opposition zu den Arbeitgebern stehen?

Die Arbeitsmarktreform wird heute vorgestellt: Können die Gewerkschaften sie überhaupt noch zu Fall bringen?

Auf dem Papier nicht. Beschliesst die Regierung die Revision, treten die Änderungen in Kraft und die neuen Gesetze gelten. Auf der Strasse können die Gewerkschaften die angedachte Reform trotzdem bekämpfen. Dann ist alles davon abhängig, wie erfolgreich die Gewerkschaften mobilisieren können und wie stark sie von verbündeten Parteien unterstützt werden. Sollte es zu Massenkundgebungen und vielleicht auch längeren Streiks kommen, wird das die öffentliche Meinung beeinflussen. In diesem Fall könnte sich ein öffentlich ausgetragener politischer Machtkampf entwickeln. Es steht viel auf dem Spiel: Für Macron genauso wie für die Gewerkschaften.

Das Gespräch führte Joël Hafner.

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