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Streit um Asylbewerber «Am Ende profitiert vor allem die AfD»

Der Streit um die Abweisung von gewissen Asylbewerbern an der deutschen Grenze bringt die Regierungskoalition von Kanzlerin Angela Merkel in Gefahr. Die Schwesterpartei von Merkels CDU – die CSU – gibt der Kanzlerin bis Montag Zeit, um einzulenken.

Der Konflikt spitze sich dramatisch zu und könne in ein Ende der Kanzlerschaft Merkels münden, glaubt Deutschland-Korrespondent Peter Voegeli. Den Ursprung des Streits sieht er in der aufstrebenden AfD.

Peter Voegeli

Italien-Korrespondent

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Peter Voegeli ist seit Januar 2022 Italien-Korrespondent von Radio SRF. Von Rom aus hat er auch den Vatikan, Griechenland und Malta im Blick. Zwischen 2005 und 2011 berichtete er als USA-Korrespondent aus Washington DC. Danach war er während dreieinhalb Jahren Moderator von «Echo der Zeit» und von 2015 bis 2021 Deutschland-Korrespondent in Berlin. Von 1995 bis 2005 arbeitete der Historiker als Korrespondent für Schweizer Printmedien in Bonn und Berlin.

SRF News: Der Konflikt zwischen der CSU und Merkel in Asylfragen ist nicht neu. Warum eskaliert er gerade jetzt?

Peter Voegeli: Dafür gibt es drei Gründe: Die Umfragen für die CSU in Bayern zur Landtagswahl im September verändern sich seit Monaten nicht – egal, was die CSU macht oder verspricht. Demnach kann die AfD mit 14 Prozent rechnen, die CSU nur noch mit rund 40 Prozent. Damit würden die Christlichsozialen ihre absolute Mehrheit verlieren. Deshalb herrscht Panik in München.

Die CSU könnte wegen der AfD die Mehrheit in Bayern verlieren. In München herrscht deshalb Panik.

Der zweite Grund sind die Probleme mit Asylbewerbern, die einfach durchgewinkt worden sein sollen – Stichwort Bamf-Skandal – sowie der Mord an einer 14-Jährigen, der von einem abgewiesenen irakischen Asylbewerber verübt worden ist. Damit ist das Flüchtlingsthema wieder ganz oben auf der Agenda angelangt. Drittens schliesslich wird das Grundgefühl in Deutschland immer stärker, der Rechtsstaat werde im Zusammenhang mit den Flüchtlingen nicht durchgesetzt: Abgewiesene Asylbewerber müssten das Land nicht verlassen, aber eine Parkbusse werde gnadenlos durchgesetzt. Dieses Gefühl ist nicht nur in Bayern verbreitet – das hat die CSU schon richtig erkannt.

Mit Horst Seehofer führt die CSU das deutsche Innenministerium. Nun droht die CSU, Seehofer werde die umstrittene Verschärfung im Asylwesen im Alleingang durchsetzen. Was würde das bedeuten?

Der Innenminister hat per Gesetz zwar die Kompetenz, solche Grenzkontrollen anzuordnen. Doch politisch geht es natürlich nicht, dass er die Bundeskanzlerin dabei übergeht. Merkel müsste Seehofer entlassen, die Koalition wäre am Ende. Problematisch für Merkel: Viele ihrer CDU-Mitglieder sind inhaltlich mit der Forderung der CSU einverstanden, nicht aber mit dem Umgang der CSU mit der CDU.

Merkel und Seehofer stehen beieinander, beide schauen auf ihre Uhren, auch andere Leute stehen drumherum.
Legende: Viel Zeit bleibt nicht für eine Beilegung des Streits: Am Montag will Seehofers CSU eine Entscheidung. Reuters

Zum Showdown könnte es am Montag kommen, wenn die CSU entscheidet, wie sie weiterfährt. Wie könnten die Wogen in dieser Koalition noch geglättet werden?

Laut Medienberichten soll der erfahrene und hochangesehene Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vermitteln – doch die Situation ist schwierig. Sollte die CSU einmal mehr als Tiger springen und als Bettvorleger landen – seit zwei Jahren bleiben ihre Drohungen ohne Folgen – dann wäre sie stark beschädigt. Und wenn sie es durchzieht, ist nicht nur die Koalition, sondern vor allem Merkel als Kanzlerin am Ende.

Falls die Koalition zerbricht, gäbe es wohl keine Neuwahlen. Die Union würde einen Nachfolger für Merkel wählen.

Dann gäbe es wohl nicht Neuwahlen, eher würde die Union eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger für Merkel bestimmen. Doch egal, wie die Sache ausgeht: Sowohl CSU wie CDU nehmen Schaden – und profitieren wird die AfD, die diesen Streit im Grunde ausgelöst hat. Die ganze Sache zeigt: Weder in Berlin noch in Bayern haben die anderen Parteien ein Rezept für den Umgang mit der AfD. Jetzt versucht es die CSU mit der Brechstange.

Das Gespräch führte Salvador Atasoy.

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