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Streit um Autonomie im Irak Oberstes Gericht ordnet Aussetzung von Kurden-Referendum an

  • Der Oberste Gerichtshof des Irak hat die Aussetzung des geplanten Unabhängigkeits-Referendums in der autonomen Kurdenregion im Nordirak angeordnet.
  • Es habe mehrere Klagen gegen die Abstimmung gegeben, daher hätten die Richter entschieden, sie auszusetzen.
  • Die Richter kamen damit einem Antrag der irakischen Zentralregierung nach, die die Abstimmung verhindern will.

Die kurdische Autonomieregierung im Nordirak will am kommenden Montag trotz starker Widerstände in einem Referendum über die Unabhängigkeit abstimmen lassen. Die irakische Zentralregierung lehnt das Referendum ab, weil sie einen Zerfall des Landes befürchtet. Sie schloss auch ein militärisches Eingreifen nicht aus.

Iraks Vizepräsident Nuri al-Maliki forderte eine Absage und drohte, Bagdad werde die Schaffung eines «zweiten Israel im Nordirak» nicht dulden. Er warnte vor den «gefährlichen Auswirkungen, die diese Massnahmen auf die Souveränität und Einheit des Iraks haben werden».

Das Referendum wäre rechtlich nicht bindend und eine Annahme würde nicht automatisch zur Abspaltung der Region führen, die seit 1991 über weitreichende Autonomie verfügt.

Starke kurdische Autonomiebewegung

Nur verfügt die irakische Zentralregierung kaum über die nötigen Machtmittel, den Kurden dieses Referendum zu verbieten, sagt SRF-Korrespondent Pascal Weber: «Die irakischen Kurden haben eine eigene starke Autonomiebehörde, eine eigene Polizei und auch eine eigene Armee, die Peschmerga.» Zudem könne Kurdenpräsident Massud Barsani kaum mehr von diesem Referendum Abstand nehmen.

Das Referendum habe in der Region eine enorme Sprengkraft, sagt Weber: Das sehe man daran, dass die Türkei heute an der türkisch-irakischen Grenze ein gross angelegtes Militärmanöver gestartet hat, das über das Datum des Referendums hinaus dauern soll.

Manöver an Grenze

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Am Montag haben türkische Truppen an der Grenze zum Irak ein Militärmanöver begonnen. Offiziell handelt es sich dabei um eine Anti-Terror-Übung. Die Tageszeitung «Hürriyet» berichtete, fast 100 Militärfahrzeuge nähmen an dem Manöver nahe dem türkisch-irakischen Grenzübergang Habur teil.

«In Bagdad haben irakische Abgeordnete und schiitische Milizenführer den Kurden unverhohlen mit Bürgerkrieg gedroht. Der Iran und die Türkei wollen verhindern, dass die Autonomiebestrebungen der auf ihrem Gebiet lebenden Kurden Erfolg haben könnten. Und die USA fürchten sich hauptsächlich davor, dass der Irak definitiv ein unregierbarer ‹failed state› wird», so Weber.

Der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim nannte die Volksabstimmung «eine Angelegenheit der nationalen Sicherheit» seines Landes. Auch die USA verurteilten die Abstimmung als «provokant und destabilisierend». UNO-Generalsekretär António Guterres warnte, der Volksentscheid gefährde die Erfolge im Kampf gegen die Terrormiliz Islamischer Staat (IS).

Langer Kampf für Unabhängigkeit

Die Kurden im Nordirak streben seit Jahrzehnten nach Unabhängigkeit und besitzen bereits jetzt weitreichende Autonomierechte. Sie haben in ihrer Hauptstadt Erbil eine eigene Regierung und ein eigenes Parlament.

Die Kurden sehen jetzt den Zeitpunkt gekommen, nach Jahrzehnten der Unterdrückung mit dem Unabhängigkeits-Referendums Fakten zu schaffen, erklärt Pascal Weber:

«Nach dem Krieg gegen den IS ist der Irak ein Staat, der in vielen Teilen ein ‹failed state› ist. Die Kurden haben in diesem Kampf grosse Opfer gebracht und auch grosse Geländegewinne erzielt, unter anderem auch in der erdölreichen Region um Kirkuk. Die irakischen Kurden sehen darum keinen Grund mehr, sich nach diesem Krieg wieder freiwillig unter die Obhut von Bagdad zu begeben.»

Dazu komme noch das persönliche Kalkül von Kurdenführer Barsani, seine interne Macht zu festigen und als derjenige in die Geschichtsbücher einzugehen, der das Fundament gelegt hat für ein unabhängiges Kurdistan.

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