Milan Starec wohnt im tschechischen Dorf Uhelná – es sieht so aus, wie Kinder Dörfer malen. Dunkle Balken tragen sein Haus seit 200 Jahren. Die Pflanzen im Garten biegen sich vor Üppigkeit, Schafe fressen davon. Aber es rumort und brummt im Paradies.
Das Monster ist einen Kilometer entfernt, hinter dem Wald, in Polen. Milan Starec hört es den ganzen Tag. Turów: eine Mine voller Braunkohle, eine Marslandschaft, fünfzehnmal grösser als der Central Park in New York. Und die Mine wächst.
«Wir haben grosse Angst davor, was passiert, wenn sie die Grenze erreicht», sagt Milan Starec. Der Wald verschwinde dann und er und seine Familie schauten direkt in den Schlund der Mine. Der Verkaufsleiter für Medizinprodukte hat sich an das Rumoren des Tagebaus gewöhnt. Aber wenn die Mine sich in Richtung Uhelná ausdehne, werde es noch lauter, vielleicht unerträglich.
Das Wasser fliesst in die Mine
Vor allem aber wird es hier noch trockener, wenn die Mine wächst. Milan Starec schiebt den Steindeckel von seinem Brunnen im Garten, wirft ein Hölzchen hinein. «Plopp», macht es auf dem Grund des Brunnens – er ist ausgetrocknet. Früher hatten alle im Dorf Wasser im eigenen Garten. Doch dann gruben sich die polnischen Mineure durch die Gesteinsschicht, die dafür gesorgt hatte, dass das Grundwasser in Tschechien bleibt – und alles Wasser floss über die Grenze in die Mine. In Uhelná gibt es zwar noch ein Wasserreservoir, 50 Meter tief ist das Wasser dort. Aber der Wasserspiegel sinkt jedes Jahr.
Und jetzt will Polen den Abbau der Kohle in der Turów-Mine verlängern, bis 2044. Und die Mine vergrössern. Fachleute sagen, im schlimmsten Fall hätten dann in Tschechien 10'000 Menschen kein Wasser mehr.
Wir denken ständig an die Wasserknappheit.
Milan Starec erzählt, dass er heute schon manchmal eingeschäumt bleibe unter der Dusche – ihm fehle das Wasser, wenn die Nachbarn das Schwimmbad füllten. «Wir denken ständig an die Wasserknappheit», sagt er. «Wie soll das erst werden, wenn noch mehr Wasser in die Mine fliesst?» Im Garten stehen drei grosse Plastikbassins, die das Regenwasser auffangen.
Polen hört nicht auf Richter
Milan Starec sagt, er habe erst im letzten Moment erfahren, dass Polen die Braunkohlemine ausbauen will – ohne Schutzmassnahmen fürs tschechische Wasser. Er verlangt, dass die Polen einen unterirdischen Schutzwall bauen, der dafür sorgt, dass das Wasser in Tschechien bleibt. Um das zu erreichen, hat er zuerst in der Gegend Unterschriften gesammelt. Dann haben ihm Umweltschutzorganisationen geholfen. Danach hat sich die Regierung in Prag eingeschaltet – und Polen vor dem Gerichtshof der Europäischen Union verklagt. Und jetzt hat das Gericht entschieden: Polen müsse erst einmal aufhören, Kohle aus der Turów-Mine zu fördern.
An den Entscheid der Richter hält sich das Land zwar nicht, aber die Polen verhandeln jetzt auf einmal mit den Tschechen. «Endlich hören sie uns zu», sagt Milan Starec. Einigen sich die beiden Länder nicht, warten Millionen-teure Bussen auf Polen, bis zu fünf Millionen Euro pro Tag. Das ist vielleicht das Ende der Mine.
Unsichere Zukunft für Mineure
Auf der polnischen Seite wohnt Jakub Krupinski mit seiner Frau und seinen drei Kindern in einem hübschen Haus. Er stellt Wasser auf den Küchentisch – hier gibt es genug davon. Jakub Krupinski steht jeden Tag um vier Uhr morgens auf, sorgt in der Mine dafür, dass Menschen und Maschinen sicher sind. Der Ingenieur verdient gut, wird früh in Rente gehen – oder eben nicht, falls die Mine schliessen muss.
«Es ist ein schlimmes Gefühl», sagt er. «Meine Zukunft ist nicht mehr sicher.» Dabei wirkte die Arbeit in der Mine grundsolide, seit fünfzehn Jahren macht er sie, ist extra deswegen in die Gegend seiner Kindheit zurückgekommen. Der polnische Strom kommt vor allem aus Kohle. Im Kraftwerk, das zur Mine gehört, dessen Schornsteine hier alles überragen, entstehen etwa sieben Prozent des polnischen Stroms. 5000 Menschen arbeiten hier, Kraftwerk und Mine gehören dem Staat.
Solange die Tschechen Schwimmbäder hätten, sagt Mineur Krupinski, könne er die angebliche Wasserknappheit nicht ganz ernst nehmen. Und vor allem sei nicht einfach die Mine schuld.
Auch der Klimawandel habe die Gegend trockener gemacht, auch unabhängig von der Mine gebe es hier weniger Wasser, das hätten polnische Fachleute bestätigt. Aber sogar, wenn das so ist: Heizt der Strom aus Kohle nicht den Klimawandel an? Ist also die Mine nicht so oder mitschuldig an der Trockenheit?
Doch, natürlich, sagt Jakub Krupinski, Polen müsse raus aus der Kohle. Aber eben nicht sofort, das wäre wirtschaftlicher Selbstmord. «Kohle ist der billigste Energielieferant, den wir haben. Wir sollten die Kohle, die uns bleibt, nutzen und schauen, dass sauberere Energiequellen für später bereit sind.»
«Das ist Erpressung»
Wojciech Dobrolowicz sitzt vor einer Blumenwand. Es sind Gratulationsgrüsse an den frisch gewählten Bürgermeister von Bogatynia – hier liegt die Turów-Mine.
Gerade hat er einen Brief bekommen: Die polnische Regierung schreibt darin, dass die Verhandlungen mit Tschechien gut liefen. Der Regierungschef persönlich, sagt Dobrolowicz, habe ihm versprochen, dass die Mine nicht schliesse.
«Polen hat schon Millionen investiert, um die Mine erträglicher zu machen für Tschechien», sagt der Bürgermeister. Aber es sei offenbar nie genug. «Für mich ist das Erpressung: Gebt uns Geld, dann sind wir ruhig.»
Im September, früher als geplant, soll der unterirdische Schutzwall fertig werden, der das Abfliessen des Wassers aus Tschechien verhindern müsste. Ausserdem arbeitet der staatliche polnische Energiekonzern, der die Mine betreibt, an einer Art Sieb unter der Erde, das das Grundwasser zusätzlich schützen soll. Dagegen hat Dobrolowicz nichts.
Das kann sich ein unabhängiges Land nicht bieten lassen.
Ihn stört aber, dass die Tschechen zusätzlich mehr Mitsprache rund um die Mine wollen. Das könne sich ein unabhängiges Land nicht bieten lassen, findet er. Und ebenfalls unfair ist in seinen Augen, dass nun der EU-Gerichtshof weit weg über das Schicksal seiner Gemeinde entscheide. Ganz Bogatynia hängt ab von der Mine und vom Kraftwerk, vom Geld, vom Strom, von Geschäften mit den Giganten und ihren Angestellten. Ein Drittel des Budgets der Gemeinde kommt aus Mine und Kraftwerk.
Auch Bürgermeister Dobrolowicz ist klar, dass Polen raus muss aus der Kohle. Dass Bogatynia wegen Tschechien vielleicht noch schneller raus muss. Und dann sagt er das Offensichtliche: «In unserer Gegend hat man es vollkommen verschlafen, eine neue Infrastruktur aufzubauen.» Man hat sich in Bogatynia zu lange zu stark auf die Braunkohle verlassen. Rücksichtslos: Längst hätten die Polen das tschechische Wasser besser schützen können. Sollte nun das Ende der Turów-Mine kommen, fehlen Alternativen für Leute, die Arbeit suchen. Und es fehlen alternative Stromquellen.