Zum Inhalt springen

Header

Video
Navajos kämpfen vor Gericht um Wasser
Aus 10 vor 10 vom 13.07.2023.
abspielen. Laufzeit 5 Minuten 24 Sekunden.
Inhalt

Streit um Wasserrechte US-Ureinwohner: «Kein Platz für uns»

Die Navajo verklagten die USA wegen Wasserrechten. Doch der Oberste Gerichtshof wies die Klage der amerikanischen Ureinwohner ab.

Der Vertrag, den die Vorfahren von Sean Holiday vor mehr als 150 Jahren mit der Regierung in Washington abschlossen, ist wenig präzise.

Aber an jenem 1. Juni 1868, als 29 Navajo-Häuptlinge und zehn Offiziere der US-Kavallerie in Fort Sumner den Vertrag abschlossen, der die Vertreibung der Navajo beenden und ihnen eine beständige Heimat auf dem Gebiet ihrer Vorfahren garantieren sollte, dachten die Anführer des grössten Stammes der amerikanischen Ureinwohner nicht daran, dass das Wasser in ihrem Reservat einmal knapp werden könnte.

«Früher sah es hier ganz anders aus.» Sean Holiday macht eine ausladende Handbewegung. Holiday ist ein junger Navajo-Führer, der uns noch vor Sonnenaufgang ins berühmte Monument Valley führen will.

Mann fährt in einem Auto.
Legende: Für Sean Holiday sah es im Monument Valley vor einiger Zeit noch ganz anders aus. SRF

Jenes Naturwunder hoch oben auf einem Plateau zwischen Arizona und Utah, in welchem die Navajo seit Jahrhunderten siedeln, und das später zur Kulisse unzähliger Hollywood-Filme und Zigarettenwerbung wurde. «Früher stand das Wasser so hoch, dass, wenn es regnete, alles hier zu Sumpf wurde.»

Dürre seit 30 Jahren

Heute gibt es im Monument Valley keine Sümpfe mehr. Dürre folgt auf Dürre, in den nahen Flüssen und Seen gilt offiziell Wassernotstand.

Ein Baum in einer sehr trockenen Gegend in den USA.
Legende: Das Monument Valley droht zu vertrocknen. SRF

Der Little Colorado River führt seit 30 Jahren Jahr für Jahr weniger Wasser. Lake Powell oberhalb des Grand Canyon oder Lake Mead nahe Las Vegas stehen auf historischen Tiefstständen.

Sean Holiday seufzt: «Viele der Quellen hier sind am Versiegen, die Wasserspiegel sinken. Das heisst, wir haben immer weniger Wasser, das wir abpumpen können.»

Abgewiesene Klage

Mit dem Vertrag, den die Navajo damals mit der US-Regierung in Washington abgeschlossen hatten, gaben die Navajo ihren Widerstand gegen die Weissen Siedler auf. Die Regierung wiederum garantierte den Navajo mit dem Reservat eine eigene beständige Heimat, und zwar in einem «überlebensfähigen» Gebiet.

Doch mit den immer weiter sinkenden Wasservorräten stellt sich die Frage, was das in der heutigen Zeit bedeutet.

Die Navajo verlangen von den USA, dass die Regierung sicherstellen müsse, dass ihr Reservat auch in Zukunft genügend Wasser hat, und klagten bis vor den Obersten Gerichtshof in Washington.

Doch dieser hielt in seinem kürzlich ergangenen Urteil in umständlicher Juristensprache fest: «Der Vertrag von 1868 zur Gründung des Navajo-Reservats, reserviert das notwendige Wasser, um den Zweck des Navajo-Reservats zu erreichen. Aber er verlangt von den Vereinigten Staaten nicht, affirmative Massnahmen zu ergreifen, um Wasser für den Stamm zu sichern.»

Ein Haus mit ein paar Autos, die darum herum stehen. Im Hintergrund sieht man rote, spitzige Felsen.
Legende: Acht Familien leben zurzeit im Monument Valley. SRF

Für Sean Holiday ist das ein Versuch der Regierung in Washington, sich aus der Verantwortung davonzustehlen, die die USA gegenüber den einstigen Besitzerinnen und Besitzern dieses Landes haben: «Als wir die Verträge mit den USA machten, wurde uns genügend Wasser garantiert, um hier draussen zu leben. Aber sie halten sich nicht an den Vertrag.»

Kein Platz

Der Streit um das Wasser auf dem Land der Navajo belegt, wie ungelöst viele Fragen der amerikanischen Vergangenheit nach wie vor sind.

In seinem Urteil wehrt sich der Oberste Gerichtshof ausdrücklich dagegen, die früheren Verträge der USA mit den einstigen Besitzerinnen und Besitzern dieses Landes anzutasten: «Wie dieses Gericht [im Fall der Nation der Choctaw gegen die Vereinigten Staaten] festgestellt hat, können die Indianer-Verträge nicht umgeschrieben oder über die eindeutigen Begriffe hinaus ausgedehnt werden.»

Es fühlt es sich an, als wären wir noch auf der Suche nach dem Ort, an den wir hingehören.
Autor: Sean Holiday Navajo-Führer

Dass die Navajo genügend Wasser brauchen, das spricht der Oberste Gerichtshof der USA den Ureinwohnerinnen und Ureinwohner nicht ab. Aber er befindet die USA nicht verantwortlich dafür.

Für Sean Holiday geht diese Argumentation nicht auf: «Es fühlt sich an, als gäbe es keinen Platz für uns. Selbst wenn wir das Land besitzen, unsere Kultur und unsere Geschichte haben: Es fühlt es sich an, als wären wir immer noch auf der Suche nach dem Ort, der uns gehört, und an den wir hingehören.»

«Bin ich Amerikaner?»

Sean Holiday führt uns in eine höhlenartige Gesteinsformation und legt sich auf den Rücken. «Wenn du genau hinschaust, erkennst du dort oben das Auge eines Adlers.» Tatsächlich ist hoch oben in den Felsen ein Loch zu erkennen. «Und darum herum, das sieht aus wie Federn.»

Sean holt eine Flöte hervor. Es droht unweigerlich kitschig zu werden, doch Seans Worte machen das sogleich zunichte. «Ob ich mich als Teil der modernen USA fühle?» Sean hält inne. «Ja, und gleichzeitig nein», antwortet Sean. Natürlich seien sie Navajo alle Bürgerinnen und Bürger der USA. Sie zahlten Steuern und hätten die Freiheit zu wählen.

Sean Holiday spielt Flöte.
Legende: Das Flötenspiel, wie Sean Holiday es betreibt, hat in der Kultur der Navajo häufig eine rituelle Bedeutung. SRF

Aber viele politische Entscheide begünstigten den Staat sehr viel mehr als sie, fügt Sean an. «Deshalb fühlen wir Ureinwohner uns immer ein wenig aussen vor gelassen. Natürlich ist das ein Prozess, aber solange dieser nicht abgeschlossen ist, fühle ich mich nicht wirklich wie ein vollständiger Amerikaner.»

Die Wandmalerei der Urvölker

Die Navajo und zuvor die Völker der Anasazi leben seit Jahrtausenden in diesem Gebiet zwischen Arizona und Utah. Seans Vater, Garry Holiday, und dessen Freund, Will Cowboy, führen uns in ein Tal, das sie «Mystery Valley» nennen.

Wie alt die Malereien an den roten Felswänden sind, weiss niemand genau. Sie zeigen Hände oder Tiere. Die ersten Menschen erreichten dieses Hochplateau mehr als 1000 Jahre vor unserer Zeitrechnung.

Garry Holiday und Will Cowboy beim Spielen von Instrumenten
Legende: Will Cowboy (links) und Garry Holiday: Die Navajo nennen das Monument Valley «Tse’Bii’Ndzisgaii» – das «Tal in den Felsen» oder «Ort, wo die Felsen enden». SRF

Auch deshalb versteht Garry Holiday die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs in Washington, den Navajo keine besonderen Wasserrechte zuzugestehen, nicht: «Wir waren die ersten Amerikaner. Wir sollten Zugang haben zu unserem Wasser, hier und in allen anderen Gebieten, in denen wir seit jeher leben.»

Der «Ort, wo die Felsen enden»

Garry Holiday und Will Cowboy führen uns immer tiefer hinein in ein Wirrwarr von kahlen Canyons und wundersam geformten Felsen. «Wir sind den USA nicht undankbar! Wir wissen den Rechtsstaat zu schätzen, und die Freiheit, die er uns ermöglicht», sagt Garry.

Aber auch bei ihm lauert das grosse «Aber» bereits hinter dem nächsten Satz: «Wenn Fremde kommen und Gesetze machen, die uns das Recht an unserem Wasser einschränken, dann macht uns das traurig. Es macht uns traurig, dass die ganze Welt freien Zugriff auf Wasser hat, dass diese Freiheit aber uns Ureinwohnern nicht gegeben wird.»

Die Anasazi verschwanden einst plötzlich aus dem Gebiet rund ums Monument Valley. Niemand weiss, weshalb, doch es gibt eine Theorie, dass eine Naturkatastrophe zu akutem Wassermangel führte. Die Navajo heute nennen das Monument Valley den «Ort, wo die Felsen enden». Sie wollen nicht, dass es auch der Ort wird, an dem ihre Geschichte endet.

10vor10, 13.7.23, 21:50 Uhr

Jederzeit top informiert!
Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden.
Schliessen

Jederzeit top informiert!

Erhalten Sie alle News-Highlights direkt per Browser-Push und bleiben Sie immer auf dem Laufenden. Mehr

Push-Benachrichtigungen sind kurze Hinweise auf Ihrem Bildschirm mit den wichtigsten Nachrichten - unabhängig davon, ob srf.ch gerade geöffnet ist oder nicht. Klicken Sie auf einen der Hinweise, so gelangen Sie zum entsprechenden Artikel. Sie können diese Mitteilungen jederzeit wieder deaktivieren. Weniger

Sie haben diesen Hinweis zur Aktivierung von Browser-Push-Mitteilungen bereits mehrfach ausgeblendet. Wollen Sie diesen Hinweis permanent ausblenden oder in einigen Wochen nochmals daran erinnert werden?

Meistgelesene Artikel