Wer mit Schmerzen in eine Notaufnahme kommt, möchte so schnell wie möglich Hilfe bekommen. Eine neue Studie aus den USA und Israel zeigt aber, dass Frauen weniger schnell und effektiv behandelt werden als Männer. Wie das zu erklären ist, weiss SRF-Wissenschaftsredaktorin Katharina Bochsler.
Was zeigt die Studie?
Das Forschungsteam aus Israel hat über 22'000 Patientinnen- und Patientendaten aus den USA und Israel daraufhin untersucht, ob und wann Menschen in der Notfallaufnahme Schmerzmittel erhielten. Da zeigte sich ein deutlicher «Gender Bias» – eine geschlechtsspezifische Verzerrung: 47 Prozent der Männer erhielten in der Notaufnahme ein Schmerzmittel, bei den Frauen waren es nur 38 Prozent. Zudem mussten Patientinnen 30 Minuten länger auf ein Schmerzmedikament warten als Patienten.
Lesen Sie hier das Abstract der Studie:
Was sind die Gründe?
Die Autorinnen der Studie vermuten, dass das Gesundheitspersonal Frauen für klagsamer hält und dass Frauen ihre Schmerzen übertrieben zum Ausdruck bringen. Das heisst im Gegenzug, dass männliche Patienten ernster genommen werden, wenn sie Schmerzen äussern. Hinzu kommt: Es war nicht nur das männliche Personal, das so urteilte. Auch die weiblichen Spitalangestellten benachteiligten die Patientinnen. Die Studienautorinnen vermuten zudem, dass Männer eventuell häufiger um Schmerzmittel bitten.
Warum nehmen Frauen Schmerz anders wahr als Männer?
Studien zeigen, dass Frauen häufiger als Männer an Krankheiten leiden, die mit Schmerzen verbunden sind. Man weiss heute auch, dass Frauen Schmerzen intensiver empfinden. Nicht weil sie wehleidiger sind, sondern weil ihr Gehirn Schmerzreize gewissermassen lauter übersetzt. Der Schlag mit dem Hammer auf den Finger einer Frau tut mehr weh, als ein Hammerschlag auf den Finger eines Mannes.
Gibt es auch in der Schweiz eine Diskriminierung bei der Schmerzmittelabgabe?
Es dürfte in der Schweiz kaum anders sein. Auch bei uns werden Frauen im Gesundheitswesen benachteiligt. Vor drei Jahren zeigte eine grosse Studie mit 500'000 Patienteneinträgen von Schweizer Intensivstationen, dass die Chance von Frauen, intensivmedizinisch betreut zu werden, kleiner ist als die von Männern. Vor allem jüngere Frauen mussten deutlich kränker sein als gleichaltrige Männer, um auf die Intensivstation verlegt zu werden.
Welche Auswirkungen hat diese Ungleichbehandlung auf Frauen?
Das kann natürlich fatal sein. Oder sogar tödlich, wenn zum Beispiel ein Herzinfarkt nicht oder nicht rechtzeitig erkannt wird, weil die Symptome bei Frauen und Männern unterschiedlich sind. Die Benachteiligung oder Abwertung von Frauen in der Medizin kann auch Komplikationen verursachen, längere Genesungszeiten nach sich ziehen oder zu chronischen Krankheiten führen.
Wie sensibilisiert für Gendermedizin sind wir in der Schweiz?
Das Problem ist mittlerweile belegt und mehr oder weniger bekannt. Gendermedizin ist heute an den Universitäten und Spitälern ein Thema. Es gibt seit kurzem Weiterbildungen und Lehrstühle in Gendermedizin. Es gibt mehr Studien zu gendermedizinischen Fragen und bei der Finanzierung von Studien wird immer mehr darauf geschaut, dass auch Frauen unter den Versuchspersonen sind.