Vor fünfzehn Jahren beschloss ich, die Schweiz zu verlassen und mein Glück als freie Afrika-Korrespondentin in Südafrika zu versuchen. Als Wohnort wählte ich nicht das pittoreske Kapstadt – Traumdestination so vieler Schweizer Touristen – sondern die Wirtschaftsmetropole Johannesburg, die damals zu den gefährlichsten Städten der Welt zählte.
Das Risiko, im Auto überfallen werden, war in den Innenstadt besonders gross. Die meisten Bürohäuser standen leer, Spinnweben statt Vorhänge überzogen die Fenster und auf dem Gehsteig herrschte ein Chaos aus Strassenverkäufern, Bettlern und den wenigen, die noch in Downtown arbeiteten. Ein weisses Gesicht sah man sozusagen nie.
Lebendig und hilfsbereit
Es hat mir trotzdem gefallen, es fühlte sich viel lebendiger an als die öden Vororte, doch am Wochenende und am Abend war die Innenstadt verwaist, abgesehen von Betrunkenen, Obdachlosen und Strassenkindern.
Ich vergesse nie, wie ich das erste Mal alleine relativ spät in Downtown eine Adresse suchen musste, die Autofenster geschlossen, die Schultern verkrampft, die Hände am Steuer schweissnass. Ich fand die Strasse natürlich nicht und war gezwungen, das Fenster runter zu rollen und jemanden zu fragen. Einen schwarzen Mann. Er zog nicht eine Pistole, sondern entpuppte sich als äusserst hilfsbereit. Da habe ich entschieden, der Stadt eine Chance zu geben.
Er schoss vor meinen Füssen ein Loch in den Terracotta-Boden und verschwand in der Nacht.
Einige Jahre später wurde ich in meinem eigenen Häuschen überfallen, es war die Nacht, als Südafrika den Zuschlag für die Fussballweltmeisterschaft erhielt. Meine beiden Schäferhunde wedelten neben dem Einbrecher, der eine Pistole auf mich richtete und zischte, ich solle ihm das Handy geben. Ich gab es ihm, er schoss vor meinen Füssen ein Loch in den Terracotta-Boden und verschwand in der Nacht.
Solche und schlimmere Situationen hat fast jeder in Südafrika erlebt. Sie widerspiegeln die schwierige, gewalttätige Geschichte des ganzen Landes und einer Gesellschaft, die massiv traumatisiert worden ist.
Schleichende Veränderung
Dennoch war ich nicht bereit, Johannesburg zu verlassen. Es ist für mich bis heute die ehrlichste Stadt Südafrikas und eine Stadt, in der die Idee der Regenbogennation nicht nur eine Seifenblase ist.
So harrte ich auf verschiedenen Hügeln, in verschiedenen Häusern mit einer steigenden Anzahl an Hunden aus, bis ich einiges Tages merkte, dass sich Johannesburg veränderte.
Dort in Downtown, wo ich immer die Gasflaschen für meinen Gasofen kaufte, stand plötzlich ein schickes Restaurant und um die Ecke schichtete jemand Container übereinander, in denen sich skurrile Läden befanden. Eine Garage wurde am Sonntag zu einem Markt umfunktioniert, der Weisse anzog, die Downtown zuvor mieden wie die Pest.
Ein Mix aus arm und reich
Der frische Wind, der seit einigen Jahren durch Downtown zieht, hat noch nicht jede Ecke entstaubt. Es gibt sie immer noch die Armen, die Arbeitslosen und die illegalen Immigranten in ihren überfüllten, zerfallenen Wohnungen. Und was mit jenen geschehen soll, die sich auch eine Miete von 150 Franken im Monat nicht vermögen, ist noch nicht geklärt. Ob sie in eines der tausenden Gratishäuser ziehen können, die die Regierung in abgelegenen Vororten erstellt, wird sich zeigen.
Doch etwas zeichnet sich bereits ab: Downtown wird nicht den Reichen allein gehören. Die Stadtverwaltung hat begriffen, dass nur ein Mix aus reich und arm eine dynamische Stadt ausmacht. Darum ist es für viele Investoren eine Bedingung, nicht irgendwelchen, sondern günstigen Wohnraum zu schaffen. Je mehr Menschen wieder in der einst verlassenen Innenstadt leben, um so sicherer wird sie, um so mehr Arbeitsplätze werden geschaffen.
Wie sicher und wie sehenswert Johannesburg schon ist, habe ich letztes Jahr einer Gruppe von Schweizer Touristen gezeigt. Sie waren begeistert ob der übersprudelnden Kreativität und Vitalität, kauften alle ein Afrika T-Shirt und genossen ein Kudu-Steak an einer Strasse, wo vor zehn Jahren weit und breit kein einziger Weisser zu sehen war.