«Rojava» heisst die von den Kurden kontrollierte autonome Verwaltung Nordostsyriens. Rojava bedeutet auf Deutsch so viel wie Sonnenuntergang und bezeichnet somit den westlichsten Teil des von Kurden bevölkerten Gebietes. Die kurdische Bevölkerung lebt in Teilen Syriens, der Türkei, des Iraks und des Irans.
Im Kulturzentrum der ostsyrischen Stadt Hasaka besingen kurdische Sängerinnen und Sänger die Berge dieses Gebietes, die süssen Feigen – und den kurdischen Widerstand.
«Unter der Assad-Herrschaft war das verboten», sagt Mohammed Judi, der Leiter des Zentrums. Er selbst wurde einst dafür verhaftet. Heute versucht er, die Tradition am Leben zu halten – und warnt vor einer Rückkehr zentralistischer Kontrolle.
Autonomie unter Druck
Während der Kriegsjahre schwand der Einfluss des Assad-Regimes im Nordosten Syriens. Die Kurden bauten ihre eigene Verwaltung auf, – ein basisdemokratisches Experiment mit eigener Regierung und eigenen Streitkräften, den Syrian Democratic Forces.
Doch nun drängt die neue Führung in Damaskus auf nationale Einheit. Präsident Ahmad al-Sharaa, einst Kommandant einer islamistischen Miliz, will seine Macht auch in den kurdischen Gebieten festigen. Seit März verhandelt seine Regierung mit Vertretern Rojavas über die künftige Ordnung. Die Eingliederung der SDF-Einheiten in die syrischen Streitkräfte ist der grösste Knackpunkt.
«Wir können nicht unter der Führung der Zentralregierung stehen», sagt Judi. Viele Kurdinnen und Kurden misstrauen Sharaa, der während des Krieges als Abu Mohammed al-Jolani bekannt war. «Wir kennen ihre Geschichte. Wir trauen ihnen nicht.» Das Misstrauen hat Gründe: Die Jihadisten des sogenannten Islamischen Staates und der Al-Nusra Front, welche Jolani 2012 gründete, haben gerade im Nordosten Syriens besonders gewütet.
Misstrauen gegenüber den neuen Machthabern
Auch in jüngster Zeit hat die Übergangsregierung von Ahmad al-Sharaa viel Vertrauen verspielt. Nach dem Machtwechsel im Dezember kam es zu Massakern an religiösen Minderheiten – verübt von Milizen, die der Übergangsregierung nahestehen sollen. Zeinab Mansour, Musikproduzentin aus Hasaka, erzählt, viele Alawiten und Drusen seien in den kurdischen Nordosten geflohen. «Aber auch wir haben Angst, die Nächsten zu sein», sagt sie.
In ihrem Studio produziert Mansour moderne kurdische Musikvideos – Lieder über den Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat, über Selbstbehauptung und Verlust. «Sharaa redet über Assads Verbrechen, schweigt aber über seine eigenen», sagt Mansour. Die Hoffnung, dass nach dem Diktator Assad alles besser wird, sei verflogen.
In Aleppo kam es zuletzt zu Gefechten zwischen kurdischen Einheiten und Milizen der Regierung. Viele im Nordosten fürchten eine neue Eskalation. Zudem strich Sharaa jüngst das kurdische Neujahr aus dem nationalen Feiertagskalender – ein kleiner, aber herber Einschnitt, der die Gräben zwischen den Parteien wohl vertiefen dürfte.