Im Reiseführer wird die Einreise nach Usbekistan als Alptraum beschreiben. Drei Stunden Wartezeit am Flughafen in der Hauptstadt Taschkent seien üblich, lange Schlangen bei der Passkontrolle, die Zöllner filzten jeden Koffer.
Die Realität sieht anders aus: «Willkommen in Usbekistan», sagt der Beamte, als er den Stempel in den Pass drückt. Er lächelt sogar. Nach 30 Minuten stehe ich vor dem Flughafengebäude und bestelle per App ein Taxi.
Die Staatsmacht möchte sich gerne ein freundliches Gesicht geben. Aber das ist alles nur eine Illusion.
Ein autoritärer Polizeistaat, in dem Zwangsarbeiter auf Feldern schuften, sich der Präsident verherrlichen lässt. Kaum eine ehemalige Sowjetrepublik hat so ein schlechtes Image wie Usbekistan.
Karimows Tod brachte die Dinge in Bewegung
Doch das Land ändert sich gerade. Gewaltig und rasant. Der freundliche und gut organisierte Flughafen Taschkent ist ein Symbol dafür. Grund für den Wandel ist ein Machtwechsel: das Land war fast drei Jahrzehnte lang von Islam Karimow beherrscht worden. Der sowjetische geprägte Machtmensch hatte ein hartes Regime errichtet – mit einem übermächtigen Kontrollapparat und einer staatlich dominierten Wirtschaft.
Vor gut zwei Jahren starb Karimow. Sein Nachfolger Schawkat Mirsijojew stammt zwar auch aus dem Machtapparat – aber er verschob den politischen Kurs. So hat er über 30 politische Gefangene entlassen, er hat die Grenzen geöffnet, um Touristen anzulocken und eine wirtschaftliche Liberalisierung angestossen. So dürfen Usbeken neuerdings frei Dollar oder andere Devisen kaufen, das Steuersystem wird vereinfacht – und man wirbt aktiv um ausländische Investitionen.
Junge Auswanderer sollen zurückkehren
Für diesen Wandel stehen Jasur und Jawlon Umarow, zwei smarte Brüder um die 30. Sie haben gerade ihre eigene Firma gegründet: Sie wollen Finanzberatungen anbieten, überhaupt Firmen beraten, die in Usbekistan investieren wollen.
«Es gibt so viele Reformen derzeit, da dachten wir: jetzt ist der richtige Zeitpunkt, etwas Eigenes zu wagen», sagt Jasur auf Englisch. Sein breiter britischer Akzent verrät: Jasur hat lange in Grossbritannien gelebt. «Ich studierte und arbeitete dort.» Nach Usbekistan kehrte er erst kürzlich zurück, der vielen Chancen wegen.
Junge Usbeken, die aus dem Ausland zurückkehren? Das tönt nach einer Trendwende. Bisher sind junge Usbekinnen und Usbeken vor allem in die andere Richtung gereist: Hunderttausende haben ihr Land verlassen, um im Ausland als Gastarbeiter ihr Geld zu verdienen.
Ein Land voller schlechter Chevrolets
Eigentlich hat Usbekistan grosses wirtschaftliches Potenzial. Das Land verfügt über erhebliche Bodenschätze, darunter Erdgas, Gold, Uran. Usbekistan ist zudem mit 32 Millionen Einwohnern das bevölkerungsreichste Land Zentralasiens, ein grosser Markt also. Und die Bevölkerung ist auch noch jung: über die Hälfte der Usbekinnen und Usbeken ist unter 30 Jahre alt.
Dennoch ist die ehemalige Sowjetrepublik sehr arm. Gerade einmal 1500 Dollar pro Kopf beträgt die jährliche Wirtschaftsleistung.
Was also ist schief gelaufen in der Wirtschaft? Die Antwort findet man auf den Strassen Usbekistans: fast alle Usbeken fahren Chevrolet; es sind praktisch nur Autos dieser einen Marke unterwegs. Der Grund dafür ist einfach: es gibt in Usbekistan nur eine Autofabrik – ein vom Staat kontrolliertes Joint Venture mit Chevrolet.
Juli Jusupow, einer der bekanntesten Ökonomen Usbekistans, erklärt: «Wer ein Auto importiert, muss mehr als 100 Prozent Zoll bezahlen, weswegen kaum jemand Autos einführt. Unsere staatliche Autofabrik hat quasi ein Monopol – mit den üblichen Folgen. Autos sind teuer, die Auswahl klein und die Qualität schlecht.»
Plötzlich war die Wahrheit erlaubt
Das Beispiel mit den Autos ist symptomatisch: Politik und Wirtschaft in Usbekistan sind so verkrustet gewesen, dass das Land kaum mehr vom Fleck kam. Der neue Präsident Schawkat Mirsijojew hat das erkannt. Und er scheint gewillt, das zu ändern. Ökonom Jusupow sagt, ein wichtiger Schritt sei schon gemacht. Man könne nun offen über Probleme reden:
«Ich habe im Januar 2017, einige Monate nach Karimows Tod, einen Artikel geschrieben über den Devisenschwarzmarkt. Die Redaktion hat den Text zunächst abgelehnt – es sei doch verboten, über dieses Thema zu schreiben. Wir riskierten es dann doch und publizierten den Artikel. Und es stellte sich heraus: nichts passierte, niemand bekam Probleme. Es ist also plötzlich erlaubt, die Wahrheit zu schreiben.»
«Usbekischer Frühling» – aber nur ein bisschen
Liberalisierung, Lockerung der Zensur: Beobachter in Taschkent reden von einem «usbekischen Frühling». Doch nicht alle trauen diesem neuen politischen Kurs.
Zu Besuch bei den Karpows, einer Dissidenten-Familie wie aus dem Bilderbuch: Umida ist Fotografin, ihr Mann Oleg Regisseur und Sohn Timur Menschenrechtsaktivist. Wie zu Sowjetzeiten diskutiert die Familie gerne in der Küche – weil sonst nirgends Raum ist für kritische Gespräche.
Bei Tee und Keksen erklärt Oleg Karpow: «Gut, immerhin gibt es jetzt ein paar Internetportale, die ein bisschen Offenheit wagen. Auch wenn diese neue Meinungsfreiheit nur in einem engen Korridor möglich ist. Wer zuerst Mirsijojew als grossen Reformator lobt, der darf dann ein paar kritische Zeilen über einen kleinen Beamten schreiben. Mehr liegt nicht drin.»
Offenheit für Investoren – Zwangsarbeit für Bürger?
Ähnlich sieht das Sohn Timur: er sammelt Informationen über Zwangsarbeit auf den Baumwollfeldern. Seit Jahrzehnten ist es traurige Realität in Usbekistan, dass Menschen gezwungen werden, auf den Feldern die kostbare Baumwolle zu pflücken. Timur Karpow sagt, immerhin würden jetzt keine Kinder mehr zu dieser schweren Arbeit abkommandiert – Erwachsene aber immer noch.
«Die Staatsmacht möchte sich gerne ein freundliches Gesicht geben. Aber das ist alles nur eine Illusion», sagt Karpow. «Diese aufgesetzte Liberalisierung braucht man, um an westliche Investitionen zu kommen – die Realität im Land ändert sich aber nicht grundlegend.»
Moderner Autoritarismus statt UdSSR-Repression
Was sicher ist: das usbekische Regime wandelt sich. Unter Karimow war es ein autoritärer Polizeistaat, der mit Gewalt regierte. Mirsijojew strebt etwas anderes an. Nicht eine liberale Demokratie nach westlichem Muster, sondern eher einen moderneren Autoritarismus. Der autoritäre Herrscher regiert dabei mit Zustimmung mindestens eines Teils der Bevölkerung; er versucht seinen Bürgern etwas zu «bieten» im Austausch dafür, dass er alle Macht hat.
Vorbild ist nicht mehr die Sowjetunion, sondern eher Wladimir Putins Russland – oder China. Moskau und Peking sind übrigens auch die wichtigsten Handelspartner Usbekistans. Die politischen Vorstellungen von Taschkents Elite passen also zur wirtschaftlichen Realität.
Wie lange hält das Tauwetter?
In einem hippen Taschkenter Cafe sitzt Nikita Makarenko. Er ist Journalist, Autor, Theatermacher – ein intellektueller Tausendsassa. Er sagt, früher habe er eine Radiosendung moderiert und sich bei jedem Satz gefragt: «Stecken sie mich jetzt dafür ins Gefängnis oder nicht?».
Dann starb Karimow. Niemand habe da Veränderungen erwartet, sagt Makarenko. «Kurz nach Karimows Tod hatte eine Produktion von mir im Theater Premiere. Das Stück ist voll mit beissendem politischem Humor. Das Publikum aber war noch verunsichert. Es sass im Saal und fragte sich, ob lachen nun schon erlaubt sei.»
Und genau so gehe es allen Usbeken bis heute. Man wisse nicht, was es mit diesem usbekischen Frühling auf sich habe. Ob er echt sei oder nur ein vorübergehendes, oberflächliches Tauwetter.