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Terror und Hunger «Entführungen sind in Nigeria fast Normalität»

Vor drei Jahren hat die Terrormiliz Boko Haram im Nordosten Nigerias mehr als 270 Schülerinnen verschleppt. Bis heute leiden die Menschen in der Region unter Terror und Hunger, wie Afrika-Experte Adrian Kriesch erklärt.

SRF News: Im Herbst kamen 21 der Mädchen aus Chibok frei. Sie waren in der vergangenen Woche im Nordosten Nigerias unterwegs. Konnten Sie die befreiten Mädchen treffen?

Adrian Kriesch: Nein, das war nicht möglich, denn die 21 befreiten Mädchen leben nach wie vor in der nigerianischen Hauptstadt Abuja in der Obhut der Regierung. Und diese erlaubt es Medienvertretern nicht, mit den Mädchen zu sprechen. Das ist auch verständlich: Nach dieser langen Zeit, in der sie in Gefangenschaft von Boko Haram waren, haben sie sicher ganz andere Probleme, als mit Medienvertretern darüber zu sprechen.

Adrian Kriesch

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Adrian Kriesch arbeitet als Afrika-Korrespondent für die Deutsche Welle. Er lebt in der nigerianischen Wirtschaftsmetropole Lagos.

Auf der anderen Seite gibt es dagegen auch Proteste. Und zwar von den Eltern und anderen Angehörigen, die fragen: Warum müssen unsere Kinder denn immer noch in Abuja bleiben? Warum können sie nicht zurückkommen in ihre Heimat nach Chibok und dort mit ihren Familien leben? Die meisten Analysten in Nigeria glauben, dass der Grund dafür die Angst der Regierung ist, die Mädchen könnten noch einmal entführt werden. Denn für Boko Haram sind diese Mädchen – so brutal es klingt – unglaublich wertvoll. Sie waren in der Vergangenheit sehr wichtig für Verhandlungen. Chibok gilt nach wie vor nicht als sehr sicher und es besteht das Risiko einer erneuten Entführung.

Mittlerweile ist bekannt geworden, dass die Terrormiliz Boko Haram auch für andere Massenentführungen verantwortlich ist. Warum wurde dies von Nigerias Armee und Regierung verschwiegen?

Die Armee und die Regierung versuchen ein Monopol auf Informationen aus dem Nordosten des Landes zu halten. Deswegen ist es für Journalisten auch so schwierig, sich in der Region zu bewegen. Klar ist allerdings, dass es in den vergangenen drei bis vier Jahren regelmässig Entführungen von Frauen und Kindern oder Überfälle auf ganze Dörfer gab. Das war jahrelang fast Normalität im Nordosten Nigerias. Häufig machten diese Ereignisse kaum Schlagzeilen.

Der Nordosten Nigerias ist ein Hungergebiet und wird von Boko Haram terrorisiert. Welchen Eindruck hatten Sie von den Lebensbedingungen der Menschen?

Es herrschen ganz brutale und schwierige Bedingungen. In der Region ist es unglaublich heiss, es ist fast schon ein Wüstengebiet. Weil dieser Konflikt schon so lange tobt, konnten die Leute – viele von ihnen sind ursprünglich Bauern – jahrelang nichts anbauen. Das ist der Ursprung dieser Hungerkatastrophe. Und alles ist noch schlimmer geworden: Die Menschen wurden vertrieben, mussten in Flüchtlingscamps leben und konnten ihre Felder nicht mehr bestellen. Ich habe selbst Kleinkinder gesehen, die fast verhungert waren. Ich habe mit Familien gesprochen, deren Kinder auf der Flucht verhungerten. Das sind schmerzhafte Momente. Ich wohne in Lagos, der Wirtschaftsmetropole des Landes. Wenn man dort unterwegs ist, sieht man Autos, die teilweise schicker als in Zürich sind. Dementsprechend brutal ist es zu sehen, dass ein paar hundert Kilometer weiter eine derartige Krise tobt, darauf nur unangemessen reagiert wurde und Kinder nach wie vor verhungern.

Wie kann denn der Konflikt mit Boko Haram gelöst werden? Militärisch oder politi?

Mittlerweile sieht es so aus, als ob alles auf eine militärische Lösung hinausläuft. Daran arbeitet die aktuelle Regierung auch. Staatspräsident Muhammadu Buhari ist jetzt seit knapp zwei Jahren im Amt und eines seiner Hauptversprechen war, den Kampf gegen Boko Haram voranzutreiben. Seit er an der Macht, hat sich die Situation im Nordosten auch wesentlich verbessert. Das Militär geht deutlich entschlossener gegen Boko Haram vor und kann auch grosse Erfolge vorweisen. Es sollen aber noch immer 5000 bis 8000 Kämpfer aktiv sein. Boko Haram ist also immer noch stark, aber bei Weitem nicht mehr so stark wie noch einem Jahr.

Vor ein paar Monaten war es noch so, dass Boko Haram weite Teile des Norostens unter Kontrolle hatte. Das hat sich geändert: Laut Aussage des Militärs besetzt die Terrormiliz gar keine Gebiete mehr. Boko Haram operiert aber natürlich trotzdem noch. Es gibt fast täglich Selbstmordanschläge, gerade in der Provinzhauptstadt Maiduguri. Häufig werden dort Frauen und Kinder gezwungen, sich in die Luft zu sprengen. Solche Angriffe sind aber auch ein Zeichen dafür, dass die Gruppe schwächer geworden ist. Die Regierung sagt, dass es auch noch Gespräche gebe. Vor allem was die Befreiung weiterer Mädchen, die noch in den Händen von Boko Haram sind, angeht.

Das Gespräch führte Barbara Büttner

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