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Vom «Bali-Bomber» zum Friedensarbeiter
Aus Echo der Zeit vom 30.08.2018. Bild: Keystone
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Terroristen entradikalisieren Zu Besuch beim Chefbombenbauer der Bali-Attentate

Wie heilt man Terroristen von Radikalismus? Indonesien wählt einen unkonventionellen Weg, wie ein Besuch vor Ort zeigt.

16 Jahre ist es her, als auf der beliebten Ferieninsel Bali eine Reihe von Bomben explodierten und mehr als 200 Personen in den Tod rissen. Verübt wurde der Anschlag von der islamistischen Terrorgruppe Jemaah Islamiyah.

«Ich war ein hervorragender Bombenbauer»

Drei der Bali-Bomber waren Brüder – zwei von ihnen wurden zum Tode verurteilt und vor zehn Jahren exekutiert, einer sitzt eine lebenslange Haftstrafe ab. Und dann war da noch ein Bruder: Ali Fauzi. Er war der Chefbombenbauer der Terrorgruppe in Ostjava.

Ali Fauzi hat ein sympathisches Lachen, das eine Reihe weisser Zähne entblösst. Doch dann sagt er Sätze wie diesen: «Ich war ein hervorragender Bombenbauer und ein guter Lehrer. Bomben zu bauen, fiel mir leichter als Papierdrachen zu basteln.»

Fauzi sitzt in einem unscheinbaren Holzhaus, in einem kleinen Dorf im Osten Javas. Hier wuchs er gemeinsam mit 12 Geschwistern, als Kind reicher Bauern auf. Er und seine Brüder wurden von den Eltern und den lokalen Klerikern schon früh mit radikal islamistischen Gedankengut gefüttert.

Freundschaften und Vertrautheit

Einer seiner Brüder habe in den 1980er-Jahren in Afghanistan gekämpft, erzählt Fauzi. «Er schrieb uns Briefe und forderte uns auf, am Jihad teilzunehmen. Das klang heroisch», sagt Fauzi. Er und drei seiner Brüder liessen sich später in Trainingslagern terroristischer Organisationen in Afghanistan und im Süden der Philippinen ausbilden.

Anfang der 1990er-Jahre wurden sie Teil des Terrornetzwerks Jemaah Islamiyah, dem Verbindungen zu Al-Kaida nachgesagt werden und das einen islamischen Staat in Südostasien errichten will. Dort habe er Freundschaften, ein Gefühl der Zugehörigkeit und eine vertraute Ideologie gefunden, sagt Fauzi. Jemaah Islamiyah schickte die Terroristen los, die am 12. Oktober 2002 mehr als 200 Menschen auf Bali töteten und über 200 verletzten.

«Sie war mehr als eine Tonne schwer»

Die Terroristen waren Fauzis Brüder. «Hier in diesem Haus haben meine Brüder die Bombe zusammen gebaut. Sie war mehr als eine Tonne schwer und wurde stückweise transportiert», sagt er.

Er habe mit der Bombe nichts zu tun gehabt, sagt Fauzi und das obwohl er damals der Chefbombenbauer der Terrorgruppe in Ostjava war. Nach dem Attentat wurde er dann auch per Steckbrief von der Regierung gesucht und floh in den Süden der Philippinen, wo er andere Terroristen im Bau von Bomben unterrichtete.

Später wurde er trotzdem gefasst und wegen anderen terroristischen Aktivitäten zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt. Von seinen drei Brüdern sitzt einer bis heute im Gefängnis, zwei wurden zum Tode verurteilt und vor zehn Jahren exekutiert.

Zwei Jahre um die Braut geworben

In einem kleinen Aussenquartier von Surabaya ruft der Imam zum Abendgebet. Vor einem winzigen Haus hängt ein Plakat, das die Vermählung von Mahendra und Wardante ankündigt. Zwei lange Jahre habe er um seine Braut werben müssen, sagt der 32-jährige Mahendra. Mahendra ist der Sohn vom Hauptverantwortlichen des Bali Attentats.

Mahendra erinnert sich noch genau an jenen Tag, als sein Vater von einem Erschiessungskommando exekutiert wurde: «Ich verspürte diese unendliche Wut und wollte ihn rächen. Bis zum Attentat wusste ich nicht, dass mein Vater bei einer Terrorgruppe dabei war. Mit mir hat er Motorräder geflickt und ist Motocross gefahren.»

Mit dem Terrorismus abgeschlossen

Als Sohn eines Terroristen fand Mahendra lange Zeit keine Arbeit und keine Frau in Indonesien. Deshalb lebte er einige Jahre illegal in Thailand und Brunei, wo er frittierte Hühnchen verkaufte und Maschinen reparierte.

Mahendra bat seinen Onkel Ali Fauzi, ihm zu helfen, den Tod seines Vaters zu rächen. Doch Ali Fauzi hatte zu jenem Zeitpunkt bereits seine Haftstrafe abgesessen und auch eine gewisse Zeit in einem Entradikalisierungslager der indonesischen Regierung verbracht. Er wollte nichts mehr mit Terrorismus zu tun haben.

Der so genannte «soft approach», der sanfte Versuch der Regierung Terroristen langsam zu entradikalisieren, habe bei ihm gewirkt, sagt der heute 47-Jährige: «All jene, die ich bekämpft hatte, die Polizei und Staatsangestellten behandelten mich gut, als ich aus dem Gefängnis kam und im Entradikalisierungslager war. Sie kümmerten sich um mich und bezahlten meine Spitalrechnungen. Das erstaunte mich.»

Ein Schlüsselerlebnis

Während Fauzi den Islam früher auf den Jihad reduziert hatte, wurde ihm im Entradikalisierungslager eine tolerantere Version näher gebracht, eine, bei der Mitgefühl und Liebe genauso zum Religionsverständnis gehören.

Doch am Ende sei es ein ganz persönliches Erlebnis gewesen, das seinen inneren Kompass neu gesetzt habe. «Ich traf eines der Terror-Opfer. Der Mann hatte beide Beine verloren durch den Anschlag. Er sagte mir: Ich vergebe dir. Das berührte mich. Ich weiss nicht, ob ich an seiner Stelle hätte vergeben können», sagt Fauzi.

Das kleine unscheinbare Holzhaus, indem vor 16 Jahren die tödliche Bombe gebaut wurde, ist heute erfüllt von hellen Kinderstimmen. In diesem Haus hat Ali Fauzi vor eineinhalb Jahren mit dem Segen der Regierung das private Entradikalisierungszentrum namens Friedenszirkel gegründet. Neben dem Zentrum liegt eine kleine Moschee und eine Schule, in der die Frauen ehemaliger Terroristen Kinder unterrichten.

Terrorismus – eine schwierige Krankheit

42 Ex-Terroristen kommen inzwischen regelmässig hierher. Ali Fauzi versucht sie auf einen friedlicheren Weg zu führen, bietet Ausbildungskurse und Hand bei der Arbeitssuche.

Doch Terrorismus sei eine komplizierte Krankheit, sagt Fauzi: «Von unserem Dorf haben sich einige Männer Terrorgruppen wie dem IS oder lokalen islamistischen Gruppierungen angeschlossen, weil sie dort auf Freunde hofften, wie ich das einst getan hatte. Werden sie verhaftet und kommen nach zehn oder fünfzehn Jahren aus dem Gefängnis, dann gehen sie oft in ihre alten Netzwerke zurück. Wir bieten ihnen eine Alternative, Freundschaften – ohne Terror. Aber viele brauchen Jahre, um sich von ihrem radikalen Gedankengut zu trennen.»

«Ich glaube, dass er die Tat bereute»

Ali Fauzis Neffe Mahendra kehrte viele Jahre nach dem Attentat und der Exekution seines Vaters nach Indonesien zurück und engagiert sich heute ebenfalls im Friedenszirkel seines Onkels. Hat sein Vater je bereut, dass er mehr als 200 Menschen in den Tod gerissen hatte? Mahendra zögert: «Obwohl sich mein Vater nie entschuldigt hat, glaube ich, dass er die Tat bereute. Zumindest hat er mich nie gebeten, dasselbe zu tun.»

Für Mahendra und Ali Fauzi ist der Friedenszirkel der Versuch, ähnliches Leid zu verhindern wie dasjenige, das ihre Familie einst über Hunderte von Menschen gebracht hat.

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