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Tod einer grauen Eminenz Verändert das Attentat auf Shinzo Abe die japanische Politik?

Zwei Tage nach dem Attentat auf den ehemaligen Premierminister Shinzo Abe standen in Japan am Sonntag Parlamentswahlen an. Ungefähr die Hälfte der Sitze im Oberhaus, der kleineren Parlamentskammer, werden neu besetzt. Das Resultat überrascht kaum. Es gewinnt, wie schon vor dem Attentat erwartet, die Partei LDP des ermordeten Abe, die auch die Partei des amtierenden Premierministers Fumio Kishida ist.

Doch wie wird Kishida mit der weiter ausgebauten Parlamentsmehrheit umgehen? Und was wird sich in Japan durch den Tod von Shinzo Abe ändern? Der Politologe Axel Klein ordnet ein.

Axel Klein

Politologie-Professor

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Der ausgewiesene Asien-Kenner forscht und doziert an der Universität Duisburg-Essen mit Schwerpunkt Japan.

SRF News: Hat sich das Attentat auf Shinzo Abe auf die Wahl oder das Wahlresultat ausgewirkt?

Axel Klein: Bis jetzt scheint dies nicht der Fall zu sein. Sowohl die Wahlbeteiligung als auch die Stimmenanteile der LDP fielen wie erwartet aus. Es gab ja 1980 schon mal einen Tod eines Premierministers. Der ist aber auf natürliche Weise zehn Tage vor einer Unterhauswahl gestorben. Da hat man das sehr viel deutlicher gemerkt.

Shinzo Abe wirkte noch immer stark mit im Hintergrund, als graue Eminenz der LDP. Was bedeutet das für die Politik der LDP?

Das bedeutet, dass eine ganz wichtige Figur, die für eine Verfassungsreform eingetreten ist, für eine Ausweitung der Bemühungen um Landesverteidigung und vermutlich auch für eine Ausweitung des Aktivitätsradius der Streitkräfte Japans, nicht mehr da ist.

Die Partei wird wohl noch eine ganze Weile brauchen, bis sie sich neu ausgerichtet hat.

Nun ist völlig unklar, wie das durch Abe hinterlassene Vakuum gefüllt werden soll. Die Partei wird wohl noch eine ganze Weile brauchen, bis sie sich neu ausgerichtet hat.

Premierminister Fumio Kishida gilt als parteiinterner Kritiker der Politik von Shinzo Abe. Hat er nun freie Hand?

Es gab in der Vergangenheit tatsächlich Konflikte zwischen den beiden. So hatten Unterstützer Abes Kishida wichtige Wahlkreise in seinem Heimatgebiet weggenommen und dem Koalitionspartner gegeben. Jetzt dürfte für Kishida Raum freigeworden sein, um seine eigene Identität, seine eigenen politischen Vorschläge durchzubringen.

Abe galt als erzkonservativer Nationalist, der das Land politisch nach rechts gerückt hat. Will Kishida das korrigieren?

Abe wollte die nach ihm benannten «Abenomics» fortgesetzt sehen. Kishida stellte sich dagegen. Er vertritt die Position, dass weite Teile der japanischen Gesellschaft von diesem neoliberalen Ansatz nicht profitiert haben und unten durchgefallen sind. Er hat stattdessen den Begriff eines «neuen Kapitalismus» geprägt. In der Frage einer Verfassungsänderung dürfte er allerdings mit sehr viel gemässigten Geschwindigkeit vorgehen.

Inwiefern spielen mögliche religiöse Tatmotive des Mörders von Abe für Japans Politik eine Rolle?

Religiöse Gruppen sind in der japanischen Politik nichts Neues. Die Verfassung schreibt zwar eine klare Trennung von organisierter Religion und Staat vor, aber das hält religiöse Organisation nicht davon ab, sich politisch einzubringen und Kandidaten zu unterstützen.

Die Trennung von Staat und Religion hält religiöse Organisation nicht davon ab, sich politisch einzubringen und Kandidaten zu unterstützen.

Der Juniorpartner der LDP, die Komeito, ist Ende der 1990er Jahre auch deshalb in die Koalition mit der LDP eingestiegen, weil sie sich selber vor dem Zugriff des Staates schützen wollte. Seither dürfte die Unterstützung durch religiöse Gruppen für viele LDP-Politiker bei der Wählermobilisierung eine Rolle spielen, auch wenn das vom Rest der Gesellschaft nicht gern gesehen wird. Das war auch bei Shinzo Abe und der aus Südkorea stammenden Vereinigungskirche der Fall. Der Attentäter hatte davon Kenntnis und hat dann seinen tragischen Entschluss gefasst.

Neue Erkenntnisse zum Tatmotiv im Fall Abe

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Der Attentäter wurde am Sonntag der Staatsanwaltschaft übergeben. Er sagte nach seiner Verhaftung laut Medienberichten, er habe aus Hass auf eine religiöse Gruppierung gehandelt, die Abe in Japan unterstützt habe.

Seine Mutter habe der religiösen Organisation hohe Summen gespendet, was seine Familie ruiniert habe. Den Namen der Organisation wollen weder Polizei noch Medien nennen. Das Online-Magazin «Gendai Business» brach jedoch nun das Schweigen: es handele sich um die umstrittene Vereinigungskirche des verstorbenen koreanischen Sektengründers San Myung Mun, hiess es unter Berufung auf Ermittlungskreise. Eine Bestätigung dafür gibt es nicht.

Die auch als Mun-Sekte bekannte und 1954 gegründete Organisation unterstützt in aller Welt konservative politische Aktivitäten. Dank einer ergebenen Gefolgschaft baute Mun ein Firmenimperium auf, das ihn zum Milliardär machte. Er war bekannt für organisierte Massenhochzeiten, die auch nach seinem Tod 2012 weiter stattfanden.

Laut Experten unterhält die Sekte Beziehungen zu Abes regierender Partei LDP, die bis zu Abes Grossvater, dem früheren Premier Nobusuke Kishi zurückreichten. Dieser war nach dem Zweiten Weltkrieg als Kriegsverbrecher verdächtigt, aber nie angeklagt worden. Kishi und Mun verband ihre anti-kommunistische Haltung. Seit 1996 nennt sich die Sekte «Familienföderation für Weltfrieden und Vereinigung».

Der Attentäter verneinte laut Medien im Verhör jedoch, aus Groll über Abes politische Überzeugungen ihn umgebracht zu haben. Ursprünglich habe er es auch gar nicht auf den rechtskonservativen Politiker abgesehen, sondern auf einen Anführer der religiösen Gruppe. Er habe eine Video-Grussbotschaft von Abe an die Gruppe gesehen, zitierte ihn die Zeitung «Yomiuri Shimbun» ohne Nennung des Namens.

Das Gespräch führte Roger Brändlin.

«Echo der Zeit», 10.07.2022, 18:00 Uhr ; 

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