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Todestag von Mahsa Amini «Immer weniger Frauen ziehen das Kopftuch an»

Vor zwei Jahren starb die 22-jährige Jina Mahsa Amini, nachdem sie von der Sittenpolizei festgenommen worden war, weil ihr Kopftuch nicht richtig sass. Der Tod der jungen Frau hatte in Iran Massenproteste gegen das Regime ausgelöst. Wie präsent Trauer und Wut über Aminis Tod heute in Iran sind, weiss die deutsch-iranischen Islamwissenschafterin Katajun Amirpur.

Katajun Amirpur

Islamwissenschafterin

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Katajun Amirpur hat deutsch-iranische Wurzeln und ist Professorin für Islamwissenschaften an der Universität Köln. Sie forscht vor allem zum Reformislam und der Rolle der Frau in der iranischen Gesellschaft.

SRF News: Wie präsent ist der Tod von Jina Mahsa Amini in Iran noch?

Katajun Amirpur: In der Theorie ist er sehr präsent. Man denkt sich nach wie vor: Das war ein ungerechter Tod. Nach zwei Jahren der Massenproteste sind die Ideen immer noch da. Nämlich, dass man eingetreten ist für das Recht auf Selbstbestimmung, dass man in diesem Kopftuch das grosse Ganze sieht. Den Menschen in Iran wird seit über 40 Jahren das Recht auf Selbstbestimmung verweigert. Insofern finden sich die Menschen immer noch wieder in diesem Protestschrei «Frau, Leben, Freiheit». 

In Iran sieht man viel zivilen Ungehorsam.

Was ist von der Bewegung «Frau, Leben, Freiheit» noch übrig?

In Iran sieht man viel zivilen Ungehorsam. Das sieht man an den Graffitis in allen Städten Irans, auf Banknoten, die mit dem Slogen «Frau, Leben, Freiheit» beschmiert werden. Und das sehen Sie im Denken der Menschen. Aber ja, es ist einfach alles niedergeknüppelt worden. In Iran haben in den letzten Monaten schon wieder viele Hinrichtungen stattgefunden, sodass die Menschen Angst haben, auf die Strasse zu gehen.            

Gleichzeitig ist ein neues Gesetz auf dem Weg zur Förderung der Kultur, der Keuschheit und des Kopftuchs. Warum wird der Druck auf die Frauen weiter verschärft?

Weil das Regime denkt, dass genau diese Form des Protestes niedergeknüppelt werden muss. Auf den Strassen Irans ziehen immer mehr Frauen das Kopftuch nicht an. Das Regime will da entgegenwirken. In Iran gibt es 40 Institutionen, die damit beauftragt sind, die Menschen zu indoktrinieren. Trotzdem sagen laut iranischen Umfragen 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung: Es mag ja sein, dass das Kopftuch ein islamisches Gesetz ist, aber es ist nicht statthaft, dieses Gesetz durchzuprügeln und die Menschen dazu zu zwingen, ein Kopftuch zu tragen.
                

Eigentlich ist es egal, wer unter Ali Chamenei Präsident ist.

In Iran ist seit Ende Juli der neue Präsident Massud Peseschkian im Amt. Ausgerechnet heute, am zweiten Todestag von Jina Mahsa Amini, hält er seine erste Medienkonferenz ab. Ist das Zufall?

Das kann man nicht so genau sagen. Aber es ist eigentlich auch relativ egal, was Peseschkian sagen wird, weil er sowieso nicht in der Lage ist, die grossen Linien der Politik zu bestimmen. Diese bestimmt immer noch der religiöse Führer Ali Chamenei, der seit vielen Jahrzehnten im Amt ist. Man könnte es so zusammenfassen: Eigentlich ist es egal, wer unter Ali Chamenei Präsident ist.

Wird es Peseschkian gelingen, das Vertrauen der Bevölkerung wiederzugewinnen?   

Ich glaube nicht. Nach wie vor ist dem Regime die Bevölkerung abhandengekommen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass nur, weil er ein wenig offener auftritt, das ändern kann. Die Menschen sind seit vielen Jahrzehnten davon überzeugt, dass es keine Möglichkeiten zur Reform von innen gibt.

Ich würde sehr gerne irgendwann mal in einen demokratischen Iran reisen.

Iran hat eine sehr junge Bevölkerung. Gibt Ihnen das Hoffnung, dass sich doch noch etwas verändert?

Ja, das gibt mir sehr viel Hoffnung. Es gibt viele Anzeichen: 65 Prozent aller Studierenden in Iran sind weiblich. Und das in einem Land, in dem Frauen per Gesetz Menschen zweiter Klasse sind. Das kann nicht ewig so funktionieren. Diese Frauen werden irgendwann ihre Rechte einfordern. Inzwischen sind auch Männer bereit, für Frauen einzustehen. Die Proteste vor zwei Jahren wurden von Männern stark mitgetragen. Insofern würde ich sagen, ja, ich glaube schon daran. Ich würde sehr gerne irgendwann mal in einen demokratischen Iran reisen.

Das Interview führte Brigitte Kramer.

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