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Tote bei Protesten im Sudan «Die Spitäler sind voll mit verwundeten Demonstranten»

Bei Zusammenstössen in der Hauptstadt Khartum sind gestern Abend mindestens sechs Menschen getötet worden. Und das, nachdem der Militärrat eine Einigung mit der Opposition bekanntgegeben hatte. Das Ringen um eine zivile Regierung gehe weiter, und die wirtschaftliche Lage sei dramatisch, sagt Experte Philipp Jahn.

Philipp Jahn

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Philipp Jahn leitet das Landesbüro der Friedrich-Ebert-Stiftung in der sudanesischen Hauptstadt Khartum.

SRF News: Der Militärrat und die Opposition hätten sich geeinigt, zusammen zu regieren - so die Meldung gestern Abend. Was wissen Sie darüber?

Philipp Jahn: Wir kennen momentan nur die Aussage von Militärrat und Opposition, dass es eine Einigung gab. Es ist aber nicht klar, worüber man sich geeinigt hat. Gestern Nacht kam es zu massiven Gewaltausbrüchen, was gerade alle Nachrichten hier überschattet.

Wie schätzen Sie die Lage nach den blutigen Auseinandersetzungen ein?

Die Lage ist alles andere als gelöst. Manche Beobachter sehen darin ein Zeichen, dass es gar keine Einigung gegeben hat, sondern dass sie von bestimmten Kräften im Regime mit viel Gewalt verhindert wurde. Büros sind geschlossen, es gibt massive Stromausfälle. Ich selbst habe seit zwölf Stunden keinen Strom mehr. Die Spitäler sind voller verwundeter Demonstranten. Das provisorische Spital auf dem Protestplatz ebenso wie die umliegenden Spitäler.

Der Militärrat sagt, er habe nichts mit den Zusammenstössen von gestern Abend zu tun. Wer dann?

Der Militärrat schiebt die Verantwortung den islamistischen Milizen des alten Regimes zu, so genannten Schattenmilizen. Ich habe heute Morgen mit Leuten vom Protestplatz gesprochen. Sie sagen, nicht die Karthum kontrollierenden Milizen seien gegen die Demonstranten vorgegangen, sondern uniformierte Kräfte mit scharfer Munition und Stöcken. Wie glaubwürdig diese Aussagen sind, kann ich nicht sagen. Der einzige Fakt ist, dass es mehrere Tote gibt, darunter auch Soldaten.

Der Militärrat schiebt die Verantwortung für die Gewalt den Schattenmilizen zu.
Autor: Philipp Jahn

Das Militär ist seit der Absetzung von Langzeitpräsident Omar al Bashir einen Monat an der Macht. Was will die Protestbewegung erreichen?

Die Opposition fordert eine zivile Regierung und dass das Militär sich auf seine Kernfunktion innere Sicherheit und Sicherung der Aussengrenzen zurückzieht. Es gab auch schon den Vorschlag für einen nationalen Sicherheitsrat, der genau diese Aufgaben wahrnehmen soll. Alle anderen Politikfelder sollen durch zivile Kräfte geleitet werden.

Bis zu den Neuwahlen soll es eine Übergangsregierung geben. Wie geht das unter den jetzigen Umständen?

Die beiden Seiten sind nicht einheitlich und stehen unter dem massiven Druck von äusseren Kräften. Die dramatische Wirtschaftslage ist ein entscheidender Faktor. Der Militärrat ist auch auf Hilfe von aussen angewiesen und wird sicherlich dafür offen sein, eine zivile Regierung zu bilden, die dann auch Hilfe von der internationalen Gemeinschaft bekommen kann.

Was braucht es, dass die Unruhen im Land wieder zurückgehen?

Einerseits die Bildung einer zivilen Regierung, die von breiten Teilen der Bevölkerung und vom Militärrat getragen wird. Andererseits eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Solange die wirtschaftliche Lage nicht stabilisiert wird, wird es keine Ruhe geben. Alles begann ja bekanntlich mit Protesten wegen Benzinmangels.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

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