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Transatlantisches Verhältnis Amerika ist wieder da

Bei seinem Auftritt 2019 auf der Münchner Sicherheitskonferenz versprach Joe Biden, damals nicht mehr Vizepräsident und noch nicht US-Präsident: «Wir kommen wieder.»

Heute hielt er Wort: «Amerika ist wieder da», lautete seine Kernbotschaft. Er meinte damit: Die alte, von Donald Trump geschmähte transatlantische Partnerschaft gilt wieder.

Biden verspricht nicht nur, er liefert bereits: Der von Trump angedrohte Truppenabzug aus Deutschland: storniert. Die Bündnisverpflichtung der Nato: gilt wieder ohne Wenn und Aber. Der überstürzte Abzug aus Afghanistan: verschoben. Der Austritt aus der Weltgesundheitsorganisation (WHO), dem UNO-Menschenrechtsrat, dem UNO-Klimaabkommen: rückgängig gemacht. Die Waffenlieferungen an die Saudis für den Jemen-Krieg: gestoppt. All das in wenigen Wochen.

Problem erkannt, doch nicht gelöst

Kein Wunder, dass die Atmosphäre auf der Münchner Sicherheitskonferenz – trotz der coronabedingt sterilen Videoversion – so gut war wie seit Jahren nicht mehr. Mit Nachdruck beschwor Joe Biden die traditionsreiche Zusammenarbeit der westlichen Mächte.

Und er warnte zugleich: Die Rivalität mit China werde scharf bleiben. Wladimir Putins Regime wolle Europa und den Westen spalten. Und vor allem: Demokratie und Rechtsstaatlichkeit müssten endlich entschieden und gemeinsam verteidigt werden. Demokratie sei «nicht einfach da».

Biden fordert einen Schulterschluss sämtlicher demokratisch-freiheitlichen Länder, nicht nur zwischen Nordamerika und Europa, sondern auch mit jenen in Asien, Afrika und Lateinamerika.

Der Konflikt zwischen den Wertesystemen, dem westlichen und dem autoritären, ist voll entbrannt. Zuletzt hatten autoritäre Regime Oberwasser. Sie sind auf dem Vormarsch.

Selbst in eigentlich demokratischen Ländern regen sich autoritäre Tendenzen – von der Türkei bis Brasilien und Indien, von Polen über Ungarn bis Slowenien. Die Trump-Jahre beschleunigten diese negative Entwicklung. Nun ist das Problem erkannt. Immerhin. Gelöst ist es noch lange nicht.

Eine Rückkehr zu den «guten alten Zeiten», als die westliche Allianz weltweit den Takt angab, gibt es nicht. Viel zu stark und zu selbstbewusst ist mittlerweile China; zu geschickt wirft es auf allen Kontinenten sein Gewicht in die Waagschale. Und zu entschlossen sind die Regierenden in Russland, Teheran und anderswo, eine Rückkehr zur westlich dominierten Weltordnung zu verhindern.

Eine Chance – doch wird sie wahrgenommen?

Der Westen rückt nun wieder zusammen. Bloss: Sobald es hart auf hart geht, steht die Entschlossenheit in Frage. Wer schlägt sich für Hongkong, wer würde sich für Taiwan schlagen? Wer engagiert sich ernsthaft gegen die Militärjunta in Burma? Für Alexej Nawalny? Für die Demokraten in Belarus? Wer verzichtet auf Geschäfte mit China, auf russisches Gas? Je konkreter es wird, umso brüchiger die Einheit.

Der von Joe Biden verfochtene und von seinen europäischen Partnern dankbar akzeptierte neue Schulterschluss ist eine Chance. Ob sie wahrgenommen wird, ist völlig offen. Die Wahrscheinlichkeit, dass auch die künftige Weltordnung eine westlich geprägte sein wird, ist nicht besonders gross.

Fredy Gsteiger

Diplomatischer Korrespondent

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Fredy Gsteiger ist diplomatischer Korrespondent und stellvertretender Chefredaktor bei Radio SRF. Vor seiner Radiotätigkeit war er Auslandredaktor beim «St. Galler Tagblatt», Nahost-Redaktor und Paris-Korrespondent der «Zeit» sowie Chefredaktor der «Weltwoche».

Hier finden Sie weitere Artikel von Fredy Gsteiger und Informationen zu seiner Person.

Echo der Zeit, 19.02.2021, 18:00 Uhr

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