- Die Schiesstauglichkeit der Wehrpflichtigen nimmt das Verteidigungsdepartement ernst. Jedes Jahr müssen Angehörige der Schweizer Armee das «Obligatorische» absolvieren.
- 22 Schützenvereine von Auslandschweizern unterstützt das VBS zu diesem Zweck mit Waffen und Munition. Einer davon ist der Swiss Rifle Club im ostafrikanischen Kenia.
- Einmal pro Monat treffen sich die Schützen des Clubs im Rift Valley am Fusse der N’Gong-Berge zum Schiessen, während Giraffen vorbeiziehen und Grillen zirpen.
Mitten in der Savanne liegt ein Mann und zieht konzentriert den Abzug seines Sturmgewehrs. Das monatliche Schiessen des Swiss Rifle Club of Kenya ist eröffnet. Die Vögel auf den Bäumen verstummen. In einem Militärzelt steht Urs Ringler und blickt mit zusammengekniffenen Augen auf den Zielhang.
Er trägt einen Farmerhut, eine Pistole am Gurt und ein gelbes Gilet mit der Aufschrift «Schützenmeister». «Ein Schweizer muss, nachdem er die Rekrutenschule gemacht hat, jedes Jahr drei Bundesprogramme schiessen», erklärt er. « Und diese Möglichkeit bieten wir hier den Schweizern in Afrika.»
Eidgenossenschaft liefert Waffen und Munition
Dazu gehören das Feldschiessen, das Obligatorische und das Einzelwettschiessen. «Dann schicken wir die Resultate in die Schweiz», so Ringler. Die, die gut geschossen haben, bekommen eine Medaille. Diese werden von Bern nach Kenia geschickt. Die, die nicht so gut waren, eine Karte.
Bern liefert auch Waffen, Zielscheiben und Munition. Laut Militärgesetz unterstützt die Eidgenossenschaft Schweizer Schützenvereine im In- und Ausland, damit diese «die Schiessfertigkeit erhalten und fördern». Per Diplomatenpost schickt das VBS jedes Jahr 6000 Tausend Schuss Munition in den kenianischen Busch.
«Man ist hier wirklich im Busch draussen, in der Natur», sagt Ringler. «Zwischendurch müssen wir aufhören zu schiessen, wenn wieder einmal eine Giraffe, ein Zebra oder eine Antilope vor der Zielscheibe durchläuft.» Dann müssten sie warten, bis das Tier vorbeigezogen ist. Erst dann geht es weiter.
Auf den Spuren von «Jenseits von Afrika»
Vielen ist diese Gegend aus dem autobiografischen Roman «Jenseits von Afrika» bekannt. Am Fusse der N’Gong-Berge hatte Karen Blixen eine Farm. 100 Kilometer südlich des Äquators, im Stammesgebiet der Massai, hatte sie während der britischen Kolonialzeit Löwen gejagt und später geschrieben: «In dieser Wildnis habe ich gelernt, ruhig zu sein. Denn die Lebewesen, denen man hier begegnet, sind scheu, und der Kulturmensch hat die Fähigkeit des Stillseins verloren.» Jeden letzten Samstag pro Monat wird die Stille durchbrochen.
Bratwürste und Cervelats auf dem Äquator
Dann kommen die Schweizer Schützen mit den Geländewagen aus Nairobi. Einer sogar im Helikopter. Und alle landen früher oder später bei der 84-jährigen Marianne Bolleter. « Ich bin der ‹Sausage-Commander›. Das heisst, der Wurst-Oberchef. Ich besorge Wurst, Brot, Senf, Fanta, Coca-Cola und Bier natürlich.»
Seit bald 40 Jahren lebt Bolleter in Kenia. Genauso lange gibt es auch den Swiss Rifle Club. Braungebrannt sitzt sie hinter einem Campingtisch zwischen Senf und Ketchup und sorgt für das kulinarische Wohl der 30 Clubmitglieder. Gegrillt werden die Schweizer Würste von einem Kenianer, Mariannes Gärtner.
Fernab der Heimat «heimatet» es im Herzen
Seine Arbeit sei wichtig, sagt Schützenmeister Ringler. «Ich glaube, es ist sehr populär, dass die Schweizer hier zusammenkommen und wieder einmal einen Cervelat oder eine Bratwurst essen.» Oft habe er das Gefühl, hier zusammen Würste zu essen sei sogar noch wichtiger als das Schiessen selbst.
Katy Reist ist Lehrerin an der Deutschen Schule in Nairobi. Sie kommt ursprünglich aus dem Emmental. Nie würde sie dort einen Schützenverein besuchen. Aber hier in Kenia sei das ganz anders. « Wenn man hier wieder einmal Berndeutsch reden kann und andere Leute mit demselben Dialekt hört», dann würde es ihr halt schon immer wieder etwas «heimaten», sagt sie.
Es «heimatet»: Aschi erzählt Kurt von den Ferien in Adelboden. Jemand öffnet in der heissen Savanne eine Flasche Walliser Fendant, und Max richtet seinen Blick in die Kälte. Auf dem Tisch des Schützenmeisters steht ein kleiner portabler Fernseher. 7000 Kilometer nördlich verkantet die Slovenin Ana Drev ihre Ski und verliert im oberen Steilhang des Lauberhorns eine entscheidende Dreiviertelsekunde.
Zurück in die Heimat als letzer Wunsch
An den sanften Hängen der N’Gong-Berge zieht derweil eine Gruppe Büffel gemächlich ihres Weges. Das Leben zwischen den Welten ist den Mitgliedern des Swiss Rifle Club vertraut. Viele leben schon seit Jahrzehnten in Kenia.
Abenteuerlust und Pioniergeist haben sie in die Ferne gezogen. Marianne Bolleter ist Zürich schon früh zu eng geworden. Mit 19 Jahren hat sie die Heimat verlassen. Zurückkehren will sie erst, wenn sie tot ist. Ihre Asche soll dereinst über dem Zürichsee verstreut werden. Was hält eine betagte Schweizerin in dieser Gegend? « Erstens muss ich zugeben, dass ich nicht gern den Haushalt mache.» Sie koche nicht gern und sie putze nicht gern, sagt sie ganz ehrlich.
«Wenn man in Afrika ist, hat man ein oder zwei Hilfen.» Man müsse auch den Garten nicht machen. «Ich geniesse das in vollen Zügen.» Durch ihre Präsenz unterhalte sie etwa fünf Familien. Das sei ihr persönlicher Beitrag an das Land.
Kuhdung für UNO-Blumenbeete
Einen ganz anderen Beitrag leistet Schützenmeister und Chairman Urs Ringler. Der Luzerner gründete 1987 in Kenia ein Gartenbauunternehmen. Heute pflegt seine Firma die Grünanlagen der UNO in Nairobi. «Wir tauschen hier unten schon seit Jahren Dünger gegen Gras», erzählt er. Er mähe viel. «Das Gras trocknen wir und tauschen es gegen Kuhdung. Das hilft mir: Ich habe immer genug Dünger und die Massai haben genug Gras, um ihre Kühe in der Trockenzeit zu füttern.»
Die Massai hätten sich daran gewöhnt, dass sie hierher kämen. Sie würden am Schluss helfen, die Munitionshülsen wegzuräumen. Wenn die Blumen auf dem UNO-Gelände in Kenias Hauptstadt kräftig blühen, hat die Weltgemeinschaft das also den Kühen der Massai und auch etwas dem Swiss Rifle Club zu verdanken.
Das Militärzelt des Schützenvereins hinter den N’Gong-Bergen auf dem Gelände der kenianischen Armee ist eine Parallelwelt mitten in der Wildnis. Ein Stück Heimat auf Zeit. Doch das Andere und Fremde beginnt bereits jenseits der Zeltschnur. Unter den Fächerakazien stehen an lange Hirtenstöcke gelehnt hagere Massai mit glattrasierten Schädeln. Reglos beobachten sie, wie Max Hellbach eine Flasche Bier öffnet. Der Liftmonteur kam 1983 mit der Firma Schindler nach Afrika. Seit zehn Jahren besitzt er Kenias Staatsbürgerschaft.
«Die Massai kennen uns und wir kennen sie»
«Die Massai sind gegenüber anderen Stämmen relativ zurückgeblieben. Sie haben eine total andere Kultur», findet Hellbach. «Sie leben, wie es das in Indien auch gibt, mit ihren Kühen. Manchmal sind sie Schlitzohren, aber sie sind nicht gefährlich.» Wenn Massai in der Nähe seien, könne man sich wohl fühlen, versichert Hellbach. «Sie verdienen ein bisschen etwas, wenn wir kommen. Sie helfen uns. Sie kennen uns und wir kennen sie. Und das reicht eigentlich.»
Der Massai Samuel fühlt sich eher unwohl, wenn Hellbach in der Gegend ist. Es seien freundliche Menschen, diese Wazungu, diese Weissen, aber alles andere als harmlos, sagt er. Im Unterschied zu den Schweizer Hobbyschützen ist Samuel ein richtiger Krieger. Er hat als junger Mann mit dem Speer einen Löwen getötet, aber die Schweizer machen ihm regelmässig Angst. « Wir haben Angst vor denen, weil sie unsere Kühe in Gefahr bringen, die hier grasen.» Die Massai zweifeln auch an der Schiesskunst der Weissen. «Man erzählt sich, dass sie im Verlauf der Zeit schon zwei Giraffen und einen Stier erschossen haben», sagt Samuel.
Nach den Schiessübungen kehrt Ruhe ein
«Wir haben es nicht gern, wenn Weisse in unserem Stammland schiessen. Sie nehmen keine Rücksprache mit unseren Hirten, sondern kommen hierher, stellen ihre Scheiben auf und beginnen zu schiessen.» Man stehe hinter dem Zielhang und höre plötzlich Schüsse: «Deshalb sind wir immer wieder froh, wenn sie nach Hause gehen.» Und das tun sie für heute. Die Magazine sind leer. Die Kiste mit dem Bier ebenfalls. Kräftige Massai-Krieger laden die A-Scheiben aus dem Zeughaus Thun auf den Lastwagen. Die weissen Kulturmenschen brechen auf.
Und mit dem Untergang der Sonne hinter den kenianischen N’Gong-Bergen kehrt nicht Stille ins Rift Valley zurück, sondern der Gesang der Massai.