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Tristesse in Tokio Das olympische Feuer flackert nur mit kleiner Flamme

Am Freitag beginnen in Tokio die Olympischen Sommerspiele. Doch die Stimmung in Japans Hauptstadt ist schlecht.

Passantinnen und Passanten spazieren auf dem Trottoir, vorbei am grossen Olympiastadion des japanischen Stararchitekten Kengo Kuma. Hier soll in zwei Tagen die grosse Eröffnungsfeier stattfinden. Aus dem Stadion dringen bereits jetzt Musikfetzen und einzelne Soundeffekte auf die Strasse. Eine Dame, Anfang 70 mit schwarzer Mütze und schwarzer Gesichtsmaske, schaut sich das Stadion von aussen an.

«Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Olympischen Spiele noch stattfinden werden», sagt sie über Whats-App-Video. «Es wäre besser gewesen, die Regierung hätte die Spiele frühzeitig abgesagt.»

Regierung gerät in Erklärungsnot

Ein junger Passant sieht dies ähnlich, dies alles wirke surreal auf ihn. Schliesslich gelte für Tokio derzeit Corona-Notstand: «Viele Grossevents sind abgesagt worden. Ich verstehe nicht, wie man in einer solchen Situation Olympische Spiele veranstalten kann.» So wie die beiden denken viele in Japan. Bei der letzten grossen Umfrage zweifelten mehr als zwei Drittel daran, dass man die Spiele sicher durchführen kann.

Blick auf Tokio, mit dem Olympiastadion
Legende: In Umfragen zeigt sich schon seit einiger Zeit, dass im Gastgeberland Japan eine Mehrheit diese Spiele ablehnt. Und nun sorgen in diesen Tagen Corona-Fälle im olympischen Dorf für zusätzliche Verunsicherung. Keystone

Politologe Koichi Nakano der Sophia Universität in Tokio sieht neben der japanischen Regierung vor allem das IOC in der Verantwortung: «Es wirkt so als würde das IOC nicht wirklich verstehen wollen, dass sich die Menschen in Japan sehr sorgen und nicht zufrieden sind mit diesen Spielen in ihrem Land.» 

Dabei sollten die Spiele eigentlich die krisengeplagte Wirtschaft in Japan ankurbeln. Doch das war noch vor der Pandemie: Inzwischen ist klar, Tokio 2020 wird fast komplett ohne Zuschauerinnen und Zuschauern in den Stadien stattfinden.

Ursprünglich sagte die Regierung, mit den Olympischen Spielen würden wir den Wiederaufbau der Region um Fukushima feiern, dann hiess es plötzlich, die Spiele sollten den Sieg der Menschheit über die Coronakrise symbolisieren.
Autor: Koichi Nakano Politologe

Die japanische Regierung kommt immer mehr in Erklärungsnot, sagt Politologe Nakano: «Ursprünglich sagte die Regierung, mit den Olympischen Spielen würden wir den Wiederaufbau der Region um Fukushima feiern, dann hiess es plötzlich, die Spiele sollten den Sieg der Menschheit über die Coronakrise symbolisieren. Doch jetzt, wo die Pandemie immer noch andauert, sagen sie, es sei schon ein Erfolg, dass die Spiele überhaupt stattfänden.»

Vor dem Olympiastadion stehen auch ein paar Fotografen und Kameraleute. Auch die ältere Dame mit der schwarzen Gesichtsmaske schiesst ein Foto vom Stadion und der Tafel mit dem Schriftzug «Tokyo 2020» – lediglich als Erinnerung, beteuert sie. Aber freuen auf die Spiele, tue sie sich nicht.

Echo der Zeit, 21.07.2021, 18 Uhr

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