An der Grenze zwischen Libanon und Israel wurden vier Tunnels gefunden. Sie sollen von der schiitischen Hisbollah-Miliz gebaut worden sein, behauptet Israels Premier Benjamin Netanjahu und spricht von einem «kriegerischen Akt». Der UN-Sicherheitsrat bestätigt Verstösse gegen mehrere Resolutionen. Konkrete Konsequenzen hat es für den Libanon aber keine. Heiko Wimmen über das Manöver Israels.
SRF News: Wie gefährlich sind die Tunnels?
Heiko Wimmen: Aus israelischer Sicht macht es Sinn, sich Sorgen zu machen. Die Hisbollah hat in der Vergangenheit bereits versucht, israelische Soldaten zu kidnappen oder zu töten. Wenn sie das durch Tunnels macht, könnte das wesentlich effizienter erfolgen. Es ist zumindest vorstellbar, dass sie das wieder tut.
Als Hisbollah-Miliz Israel angreifen – wäre das nicht ein Himmelfahrtskommando?
Das ist sicherlich richtig. Die Hisbollah sagen, der nächste Krieg werde auf israelischem Territorium ausgetragen. Das ist aber Rhetorik. Und selbst wenn es einzelne solche Operationen geben könnte, wären das nicht mehr als Nadelstiche.
Die Hisbollah wird nicht mutwillig einen Krieg vom Zaun brechen.
Fest steht: Wenn es zu einer Auseinandersetzung kommt, wären im Libanon weitreichende Zerstörungen zu erwarten. Israel hat das klar formuliert: Beim nächsten Mal würden sie keinen Unterschied mehr machen zwischen Hisbollah und dem Rest des Libanon. Die Hisbollah wird einen solchen Krieg nicht mutwillig vom Zaun brechen.
Warum ist die Hisbollah eine solche Bedrohung für Israel?
Das wirklich Bedrohliche ist der Iran, der hinter der Hisbollah steht und sie ausrüstet. Nach Ansicht vieler Beobachter gibt Iran auch die Befehle. Aus Israels Sicht hat man eine geschlossene Front von ideologisch sehr feindseligen Gegnern im Norden. Und Israel hat in Syrien in den vergangenen zwei Jahren nach eigener Aussage mehr als 200 Angriffe auf iranische Ziele geflogen. Da ist durchaus zu befürchten, dass irgendwann eine Vergeltung erfolgt, die von der Hisbollah ausgehen könnte.
Wie gross ist die Gefahr, dass es tatsächlich zu einem Konflikt kommt?
Die Tunnels an sich sind kein grosses Problem im Hinblick auf eine Eskalation. Israel wird nach weiteren Tunnels suchen und sie unbrauchbar machen. Das weitaus grössere Problem sind die Raketenwaffen, von denen die Hisbollah laut Israel zwischen 100’000 und 150’000 besitzt. Das sind «dumme» Waffen, die man abschiesst und hofft, dass sie in einem Radius von 10, 20 oder noch mehr Kilometern etwas treffen.
Wird das wirtschaftliche Herz Israels mit Präzisionswaffen angegriffen, wäre der Schaden erheblich.
Israel ist der Ansicht, dass die Hisbollah aktiv daran arbeitet, einen Teil des Arsenals in Präzisionswaffen umzuwandeln. Das Herz der israelischen Wirtschaft, der Grossraum Tel Aviv und Jerusalem, liegt 120 Kilometer von der Grenze. Wenn dort mit Präzisionswaffen angegriffen wird, wäre der Schaden erheblich.
Also nutzt Israel die Tunnels, um auf die Situation mit den Raketen der Hisbollah aufmerksam zu machen?
Ja, die Israelis haben die Tunnels wahrscheinlich auch nicht gestern entdeckt. Sie haben es aber in diesem Moment für opportun gehalten, das öffentlich zu machen. Insgesamt fügt sich das ein in eine Kampagne, die Israel bereits eine Weile betreibt und damit in Washington ein offenes Ohr findet. Es gibt dort immer wieder Bestrebungen von pro-israelischen Gruppen, dass die USA Druck auf den Libanon ausüben sollen. Das drückt aus, dass die Israelis glauben, mit der derzeitigen amerikanischen Administration Boden gutmachen und die Bedrohung der Hisbollah wieder ein Stück zurückdrängen zu können.
Das Gespräch führte Monika Glauser.