Zum Inhalt springen

TV-Debatte in Grossbritannien Ein Duell ohne Brillanz und grobe Schnitzer

Das hat es noch nie gegeben: Ein amtierender Premierminister stellt sich zur Fernsehdebatte mit seinem schärfsten Rivalen, dem Oppositionsführer. Einem solchen Duell hatten sich die Amtsinhaber bisher verweigert. Boris Johnson und Jeremy Corbyn stritten am Dienstagabend – im Vorfeld der Parlamentswahl vom 12. Dezember – eine Stunde lang für den Sender ITV.

Skeptisches Publikum

Johnson wollte sichtlich nur über seinen Brexit reden, um den Überdruss der Briten mit diesem Thema zu beenden. Corbyn dagegen blühte bei den innen- und verteilungspolitischen Themen auf, die normalerweise einen Wahlkampf prägen. Doch da beide Parteien derzeit die Steuergelder schubkarrenweise ausgeben wollen, handelte es sich um einen etwas sterilen Wettbewerb.

Anders beim Brexit: Johnson bedrängte seinen Widersacher mehrfach, erhielt aber keine Antwort. Corbyn verweigerte eine klare Aussage, was er den Briten im Falle eines zweiten Brexit-Referendums empfehlen würde. Sein eigenes, «sanfteres» Verhandlungsergebnis mit der EU oder den Verbleib in der EU? Das Publikum im Studio reagierte mit Gelächter, als Corbyn seinen Plan als «klar» bezeichnete.

Die Gretchenfrage

Doch Johnson nervte das Publikum mit seinem Beharren, alles auf den Brexit zu reduzieren. Wie einst im alten Rom Senator Cato der Ältere jede Rede mit dem Begehren nach der Zerstörung Karthagos einleitete oder beschloss, so kam Johnson immer wieder auf den Brexit zurück. Am Schluss stöhnte das Publikum kollektiv über diese störrische Wiederholung auf.

Die beiden Widersacher, die wenig für einander übrig haben und verschiedener kaum sein könnten, begingen keine groben Schnitzer, brillierten aber auch nicht auffällig. Johnson, dessen Verhältnis zur Wahrheit in der Vergangenheit als getrübt bezeichnet werden darf, wurde von der Moderatorin nach der Bedeutung der Wahrheit in diesem Wahlkampf befragt. Ja, sie sei wichtig, behauptete der Premierminister, worauf das Publikum im Studio erneut sinnfällig in spöttisches Gelächter ausbrach.

Labour im Rückstand

Eine Blitzumfrage nach der Debatte ergab ein Patt von 51 zu 49 zugunsten Johnsons; ein Ergebnis im Bereich des statistischen Fehlers. Angesichts der Tatsache, dass die Labour-Partei derzeit mit über zehn Prozentpunkten im Hintertreffen liegt, und dass Corbyn persönlich die schlechtesten Umfragewerte seit der Erfindung dieser Erhebungen verzeichnet, muss das als klarer Erfolg Corbyns bewertet werden.

Doch die wenigen hörbaren Reaktionen des anwesenden Publikums belegen, dass die Skepsis und die Verwirrung der Wähler gross sind: «None of the above», keinen der Kandidaten, schien die überwiegende Meinung zu sein.

Martin Alioth

Ehemaliger Grossbritannien- und Irland-Korrespondent, SRF

Personen-Box aufklappen Personen-Box zuklappen

Der ehemalige Grossbritannien- und Irland-Korrespondent von Radio SRF lebt seit 1984 in Irland. Er hat in Basel und Salzburg Geschichte und Wirtschaft studiert.

Meistgelesene Artikel