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Überwachungsstaaten in Afrika Der Staat schaut ins Schlafzimmer – wie Uganda Bürger bespitzelt

Günstige Technologie erleichtert die Überwachung in Afrika. Den staatlichen Spionen sind kaum Grenzen gesetzt. Die Menschenrechte bleiben auf der Strecke.

In Uganda findet das Leben auf der Strasse statt. Und auf der gigantischen Videowand in der nationalen Überwachungszentrale der Polizei. Die Wand zeigt in Echtzeit wechselnde Strassenszenen aus dem ganzen Land.

«Unsere Zentrale ist hochmodern», erklärt Yusuf Sewanyana stolz. Laut dem Informatikdirektor der Polizei sorgen 5500 staatliche Kameras in Uganda für Sicherheit. Die Infrastruktur kommt aus chinesischer Hand, vom Technologiekonzern Huawei.

«Diese Kamera schaut direkt in mein Schlafzimmerfenster.» Bobi Wine zeigt nach oben. Der Oppositionsführer lebt in einem ruhigen Quartier – doch entlang der holprigen Strasse zu seinem Haus stehen gleich mehrere Kameras. «Als ich meine Kandidatur für die Präsidentschaft bekanntgab, wurden sie innert einer Woche aufgestellt.»

Mann steht vor Mauer
Legende: Rund um das Haus von Oppositionsführer Bobi Wine sind mehrere Kameras postiert. Samuel Burri/SRF

Bobi Wine heisst bürgerlich Robert Kyagulanyi. Er hatte als Popstar Karriere gemacht. Vor einigen Jahren stieg er in die Politik ein und schaffte es überraschend ins Parlament. Bei den letzten Wahlen vor zwei Jahren forderte Bobi Wine Ugandas Langzeitpräsident Yoweri Museweni heraus. Der Aussenseiter holte ein Drittel aller Stimmen – und ist darum der wohl bestüberwachte Mann Ugandas.

Auch Handys werden abgehört

Die Überwachung geht über Kameras hinaus. «Ich werde beschattet und mein Handy wird abgehört», erklärt Bobi Wine. Darum besitzt der Oppositionelle mehrere Telefone. Er kommuniziere fast nur noch über verschlüsselte Apps wie Signal.

Doch auch die besten Apps nützen nichts, wenn der Staat das Handy hackt. Der Journalist Raymond Mujuni erhielt vor einem Jahr eine Nachricht von Apple. «Sie schrieben mir, dass staatliche Hacker versuchten, auf mein Telefon zuzugreifen.»

Mann schaut auf sein Telefon
Legende: Der Journalist Raymond Mujuni entdeckte Spyware auf seinem Handy. Samuel Burri/SRF

Eine Analyse des iPhones ergab, dass es mit der Spyware Pegasus infiziert war. Dutzende von Staaten haben laut Medienrecherchen diese Software schon verwendet. In Afrika haben das neben Uganda auch Länder wie Südafrika, Ruanda, Djibouti und Togo gemacht. Aber auch westliche Demokratien.

«Sogar am Tag meiner Hochzeit haben sie mich belauscht », erzählt Mujuni. «Was haben sie da auf meinem Telefon zu suchen? Es nervt, wenn jemand jeden Schritt von dir überwacht.» Der Journalist ist noch vorsichtiger geworden. Er lässt sein Telefon zuhause, wenn er vertrauliche Interviews führt.

Sogar am Tag meiner Hochzeit haben sie mich belauscht. Es nervt, wenn jemand jeden Schritt von dir überwacht.
Autor: Raymond Mujuni Ugandischer Journalist

Mujuni betont, er sei nicht grundsätzlich gegen staatliche Überwachung: «Aber es muss im Rahmen des Gesetzes geschehen.»

Auch das Netz wird überwacht

Dieses Anliegen vertritt auch Dorothy Mukasa. Die Leiterin der Organisation «Unwanted Witness» setzt sich gegen staatliche Überwachung und für Meinungsfreiheit im Internet ein.

Die Überwachung nehme auch im Onlineraum zu, so Mukasa: «Ugander gehen nicht mehr auf die Strasse. Also nutzen sie soziale Medien.» Doch mittlerweile kann auch das riskant sein. «Wer sich online kritisch äussert, kann gekidnappt werden.»

Unbeschriftete weisse Kastenwagen verbreiten in Uganda Angst und Schrecken. So sind Sicherheitskräfte manchmal unterwegs, holen Menschen aus ihren Häusern und halten sie dann wochenlang ohne Prozess fest.

Polizei vor einem Wahlplakat
Legende: Ugandas Opposition wird von Sicherheitskräften immer wieder drangsaliert. Reuters

Verhaftungen wegen Äusserungen im Netz könnten bald noch zunehmen, befürchtet Menschenrechtlerin Mukasa. Neu ist laut Gesetz auch «Onlinebelästigung» strafbar. Doch es sei nicht definiert, was unter Belästigung verstanden werde: «Jemand kann sich belästigt fühlen, auch wenn man bloss eine legitime Frage stellt.»

GPS-Chip in Nummernschilder und private Kameras

Einer der jüngsten Pläne Ugandas: Jedes Nummernschild soll mit einem GPS-Chip versehen werden. So könnten alle Autos und Motorräder im Land jederzeit lokalisiert werden. Das Nummernschild-Projekt hängt aber in der Startphase fest. Die russische Firma, welche Uganda die Technologie liefern soll, ist offenbar insolvent.

Afrikas Überwachungsoffensive und die Rolle Chinas

Box aufklappen Box zuklappen

Der Südafrikaner Bulelani Jili forscht und doktoriert in Harvard – unter anderem zu chinesischer Überwachungstechnologie in Afrika.

SRF News: Haben sie schon einmal von der Idee gehört, alle Fahrzeuge eines Landes mit einem GPS-Sender im Nummernschild auszurüsten?

Bulelani Jili: Nein. Vor allem nicht im Bereich allgemeiner Überwachung. Nur in Situationen, wo ein bestimmtes Fahrzeug verfolgt werden soll.

Also dieser Plan ist schon bemerkenswert?

Und eine riesige Herausforderung: Wie schützt man die Privatsphäre, wenn der Staat alle Autos im ganzen Land verfolgen kann?

Die staatliche Überwachung hat in Uganda in den letzten Jahren zugenommen. Ist das ein Trend in ganz Afrika?

Ja. Die Nutzung und Beschaffung von Überwachungstechnologie ist ein wachsendes Phänomen in afrikanischen Ländern. Vor allem chinesische Überwachungsprodukte sind oft erschwinglicher als andere, weil sie im Paket kommen: Zu einem Kamerasystem mit künstlicher Intelligenz gibt es dann gleich das physische Datencenter dazu. Das hat mit Chinas «Belt-and-Road-Initiative» zu tun. Diese verspricht, afrikanische Länder bei Smart-City-Projekten mit Kameras und im Bereich Cybersicherheit zu unterstützen. Dafür bietet China Darlehen an, so wird die Technologie für afrikanische Staaten erschwinglich.

Chinesische Überwachungskameras stehen schon in über einem Dutzend afrikanischer Staaten – finanziert über staatliche chinesische Darlehen. Unterstützt China denn auch aus geopolitischen Interessen autoritäre Regimes?

Der Verkauf dieser Werkzeuge mag Chinas geopolitischen Interessen entsprechen. Aber er ist immer auch mit den lokalen politischen Interessen der einzelnen afrikanischen Länder verbunden.

Sie sagen demnach: China ist involviert, doch die Hauptverantwortung liegt bei den afrikanischen Staaten?

Ja. Afrikanische Staaten können selbst über die Anwendung von Überwachungstechnologie bestimmen. Natürlich darf man nicht ignorieren, dass der chinesische Staat Projekte unterstützt, die auch gegen die Menschenrechte verstossen. Die grosse Herausforderung in Afrika liegt im Datenschutz: nur die Hälfte der Länder des Kontinents hat Gesetze dazu. Und selbst wenn, ist immer noch fraglich, ob diese Gesetze auch eingehalten werden.

Zurück in die Überwachungszentrale: Informatik-Chef Yusuf Sewanyana erklärt, Ugandas Polizei besitze durchaus Richtlinien, um die Privatsphäre nicht zu verletzen. Also spitzelt die Polizei nicht ins Schlafzimmer von Bobi Wine? Der Direktor grinst: «Kann er das denn beweisen? Ich glaube nicht. Aber natürlich, es gibt in Uganda viele Sicherheitsorgane...»

Wir wollen künftig auch private Überwachungskameras in unser System integrieren.
Autor: Yusuf Sewanyana Informatik-Chef Überwachungszentrale

Die Kameraüberwachung sei ein grosser Erfolg im Kampf gegen die Kriminalität, erklärt der Polizist weiter. Und darum hegt er bereits neue Pläne: «Wir wollen künftig auch private Überwachungskameras in unser System integrieren. So können wir die Anzahl der Kameras relativ günstig weiter steigern.»

Die Zukunft: Drohnen

Bald will Sewanyana auch Drohnen kaufen. «Wenn jemand auf dem Motorrad durch eine enge Gasse flüchtet, kommt das Auto nicht hinterher. Doch die Drohne kann weiter Videos ins Überwachungszentrum senden.»

Strassenszene in Uganda
Legende: In ganz Uganda stehen 5500 Kameras, welche die Bevölkerung überwachen. Reuters

Der Ausbau der Überwachungssysteme wird weitergehen. In Uganda und auf dem ganzen afrikanischen Kontinent. Die Überwachung wird günstiger, die Anwendung kaum reguliert. Die Verlockung zu noch mehr staatlichen Schnüffeleien wächst.

Oppositionsführer Bobi Wine sagt: «Diktatoren haben immer Angst. Sie haben die besten Waffen, doch sie fürchten sich. Weil sie wissen, sie könnten jederzeit gestürzt werden.» Es ist die Angst vor der eigenen Bevölkerung. Auch die beste Überwachungstechnologie kann Afrikas Regierungen diese Angst nicht nehmen.

Echo der Zeit, 12.11.2022, 18 Uhr

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