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Ukrainische Migranten in Polen «Geht nach Hause!»

Polen war sehr grosszügig bei der Aufnahme der ukrainischen Flüchtlinge. Doch nun hat sich die Stimmung verändert. Auch wegen der Politik.

Die 24-jährige Ukrainerin Adriana sitzt mit ihrer Freundin in einem Café in Warschau. Sie sagt: «Die Stimmung uns gegenüber hat sich sehr stark verändert. Manche Polen sagen sogar Dinge, die der russischen Propaganda ähnlich sind.» Am häufigsten bekomme sie zu hören, die Ukrainer seien undankbar. Oder: Sie müssten in ihr Land zurückkehren. Den Krieg gebe es in Wirklichkeit gar nicht, der sei lediglich ein Film.

Die Stimmung uns gegenüber hat sich sehr stark verändert.
Autor: Adriana Migrantin aus der Ukraine

Rafal Pankowski ist Soziologe, Experte für Rechtsextremismus und Mitbegründer des Vereins «Nie wieder», der sich für interkulturelle Verständigung einsetzt. Er betont, eine Mehrheit der Polinnen und Polen sei nach wie vor solidarisch mit den Flüchtlingen.

Migranten aus der Ukraine stehen in Warschau Schlange, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten.
Legende: Migrantinnen und Migranten aus der Ukraine stehen nach Kriegsbeginn 2022 in Warschau Schlange, um eine Aufenthaltsbewilligung zu erhalten. Keystone / RADEK PIETRUSZKA

Doch Pankowski sagt auch: «Es existiert ein sehr reales Problem von Diskriminierung, Hassrede und sogar Gewalt gegenüber ukrainischen Flüchtlingen.» Seine Organisation werde fast täglich von Betroffenen kontaktiert und um Rat gefragt.

Rund eine Million Flüchtlinge aus der Ukraine in Polen

Die Gründe für diese Veränderung sind vielfältig. Ermüdung mag eine Rolle spielen, die grosse Zahl der Flüchtlinge – rund eine Million – oder der Eindruck, diese seien eine Konkurrenz: auf dem Wohnungsmarkt, bei der Arbeit. Der Experte aber sagt: «Die Propaganda der nationalistischen Ultrarechten hat zweifellos eine wichtige Rolle gespielt.»

Zu Beginn der russischen Grossinvasion seien die anti-ukrainischen Stimmen noch isoliert gewesen, so der Experte. Sie lancierten etwa den Slogan «Stopp der Ukrainisierung Polens» mit dem Ziel, Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und politisch zu punkten. Das hat funktioniert, die Rechtsaussen-Kandidaten haben Zulauf. Und: Sie machten die Ukraine-Feindlichkeit salonfähig. Der anti-ukrainische Diskurs sei inzwischen im Mainstream der polnischen Politik angekommen, so Pankowski.

Dieser Mann demonstrierte im Mai in Warschau gegen die Flüchtlinge aus der Ukraine.
Legende: Dieser Mann demonstrierte im Mai in Warschau gegen die Flüchtlinge aus der Ukraine. Keystone/CZAREK SOKOLOWSKI

Das hat sich im Wahlkampf um die Präsidentschaft gezeigt: Nicht nur der Kandidat der rechtskonservativen PiS, auch der proeuropäische Liberale sprach sich für Einschränkungen der Hilfe für ukrainische Flüchtlinge aus.

Gleichzeitig ist die boomende polnische Wirtschaft existenziell auf die ukrainischen Arbeitskräfte angewiesen. Doch das ist in der Politik kaum Thema. Pankowski sagt, es sei wohl einfacher, auf Fremdenfeindlichkeit und negative Emotionen zu setzen, als eine positive Vision zu vermitteln.

Anti-ukrainische Posts mit riesigen Reichweiten

Dass dies so ist, hat auch mit den sozialen Medien zu tun: Mit Emotionen gewinnt man Aufmerksamkeit, mit Pragmatismus nicht. Laut Pankowski erreichen anti-ukrainische Posts riesige Reichweiten. «Diese Plattformen spielen eine wichtige Rolle bei der Legitimierung extremer Sichtweisen, bei der Verbreitung von Hass und Feindseligkeit gegenüber den Flüchtlingen.»

Wie viel davon aus Moskau kommt, ist unklar: Der Experte betont, viele der Posts hätten ihren Ursprung in Polen. Und er sagt auch, es gebe eine Tradition der anti-ukrainischen Haltung in Teilen der polnischen Gesellschaft, in nationalistisch gesinnten Kreisen. Dieses Ressentiment wird nun bewirtschaftet.

Karol Nawrocki steht vor einem Mikrofon.
Legende: Auch Karol Nawrocki, der designierte Staatspräsident Polens, hat während seines Wahlkampfs mit den anti-ukrainischen Ressentiments im Land gespielt. Keystone/MARCIN OBARA

Der neue Mann an der Spitze des Staates, der Historiker Karol Nawrocki, fühlt sich dieser nationalistischen Tradition verbunden und hat unter anderen mit abgegebenen Breitseiten gegen die Ukraine und die ukrainischen Flüchtlinge die Präsidentenwahlen gewonnen.

Die Zeiten der uneingeschränkten Solidarität mit den geflüchteten Nachbarn sind wohl endgültig vorbei.

Rendez-vous, 18.6.2025, 12:30 Uhr;liea

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