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Umkämpfter Nordwesten Syriens «Erdogan braucht unbedingt einen Erfolg»

Die Lage im Nordwesten Syriens hat sich in der vergangenen Woche noch zugespitzt. Inzwischen schiessen auch türkische und syrische Soldaten aufeinander. Heute Montag reist eine türkische Delegation nach Moskau. Russland ist mit dem syrischen Machthaber Assad verbündet und kann Einfluss auf ihn ausüben. Was das Verhandlungsziel der Türkei ist, erklärt Journalist Thomas Seibert.

Thomas Seibert

Journalist in der Türkei

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Thomas Seibert verdiente sich seine journalistischen Sporen bei der «New York Times» und den Nachrichtenagenturen Reuters und AFP, bevor er 1997 als freier Journalist in die Türkei ging. Nach einem kurzen Zwischenhalt als Berichterstatter in den USA kehrte er im Juni 2018 nach Istanbul zurück.

SRF News: Was will die türkische Delegation in Moskau erreichen?

Thomas Seibert: Sie will dazu beitragen, den Konflikt in Idlib zu entschärfen, ohne dass die Türkei in Idlib zurückweichen muss und ohne dass die Beziehungen von Ankara zu Moskau beschädigt werden. Das ist eine schwierige Aufgabe.

Kann das Unterfangen gelingen?

Die Erfolgschancen sind gering. Im Moment wird zwischen Ankara und Moskau verhandelt. Erdogan hat der syrischen Armee bis Ende Februar Zeit gegeben, sich aus Teilen Idlibs zurückzuziehen. Andernfalls will die Türkei mit ihrem eigenen Militär vormarschieren und die Syrer zurückdrängen.

Bräuchte es nicht Gespräche auf höchster Ebene?

Ein solches Gipfeltreffen wird erst anberaumt werden, wenn es grössere Erfolgschancen gibt. Die Chefs wollen nicht an einem Scheitern beteiligt sein. Die Interessen sind gegensätzlich.

Die Verhandlungsdelegation will signalisieren, dass die Türkei mit dieser Militärpräsenz in Idlib nicht einfach ignoriert werden kann.

Die Türkei will im Nordwesten Syriens die Offensive der syrischen Regierungstruppen stoppen und eine Massenflucht von Syrern in die Türkei verhindern. Auf die Rückeroberung des Nordwestens hingegen drängt die syrische Regierung.

Nun schickte die Türkei Panzer und Munition ins syrische Grenzgebiet. Will die Türkei damit Druck auf Russland ausüben?

Die Türkei will militärisch einen Block bilden, sodass die Syrer nicht weiter vorrücken können. Sie will auch signalisieren, dass sie mit dieser Militärpräsenz in Idlib nicht einfach ignoriert werden kann. Bisher sieht es nicht so aus, als hätte diese türkische Taktik Erfolg. Am Wochenende sind die syrischen Truppen weiter vorgerückt, ohne dass die Türken irgendetwas dagegen machen konnten.

Wie gross ist der Druck auf Erdogan, eine Waffenruhe durchzusetzen?

Erdogan braucht aus innenpolitischer Sicht im Nordwesten Syriens unbedingt einen Erfolg. Er hat seit Anfang Februar Tausende von Soldaten und sehr viele Waffen in den Nordwesten Syriens geschickt. Inzwischen sind dort mindestens 13 türkische Soldaten bei Gefechten ums Leben gekommen. Nach Umfragen sind zwei von drei Türken der Meinung, dass die türkische Syrien-Politik gescheitert sei. Erdogan braucht deswegen auch nicht nur aussenpolitisch, sondern auch an der innenpolitischen Front einen Erfolg.

Und was bedeutet das alles für die Menschen in Idlib?

Das ist die grosse Sorge der UNO. Im Moment sind etwa 800’000 Menschen in dieser Region auf der Flucht. Viele davon versuchen, an der geschlossenen türkischen Grenze Schutz zu finden. Daher kommt die Sorge der Türkei vor einem neuen Massenansturm.

Es sind schon Kinder erfroren.

Andere versuchen in Gebiete auszuweichen, die von der Türkei besetzt gehalten werden. Auch hier baut sich Druck auf die Türkei auf. Für die Menschen vor Ort bedeutet das alles viel Leid. Der Nahe Osten erlebt derzeit einen strengen Winter. Es sind schon Kinder erfroren. Die ganze Situation ist sehr schlimm und könnte noch schlimmer werden.

Das Gespräch führte Claudia Weber.

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