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Umstrittener Revolutionsführer Lenins Mumie bleibt ein Besuchermagnet

Am 21. Januar jährt sich der Todestag Lenins zum hundertsten Mal. Noch heute ist er in Russland allgegenwärtig.

Auch 100 Jahre nach seinem Tod erhält Lenin rege Besuch: Der einbalsamierte Leichnam des russischen Revolutionsführers Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin, liegt im Anzug in einem Glaskasten im schummrigen Licht des Mausoleums auf dem Roten Platz in Moskau.

Junge mit Plakat, darauf Lenins Konterfei.
Legende: Am Jahrestag des Todes Lenins markieren auch junge Menschen für ihr Idol auf dem Roten Platz Präsenz. (Moskau, 21.01.2024) Keystone/AP Photo/Alexander Zemlianichenko

Noch Jahrzehnte nach dem Zusammenbruch der von ihm gegründeten Sowjetunion ist der Erbauer eine Touristenattraktion der russischen Hauptstadt. Besucherinnen und Besucher kommen von weither, um die Mumie jenes Mannes zu sehen, der nach der sozialistischen Oktoberrevolution von 1917 fünf Jahre später den ersten kommunistischen Staat der Welt, einen Staat der Arbeiter und Bauern, gründete.

Geheimnisvolle Einbalsamierung

Die Kunst der Einbalsamierung bleibt ein Staatsgeheimnis. Etwa alle zwei Jahre wird Lenins Leiche in einer Wanne im russischen Forschungsinstitut für medizinische und aromahaltige Pflanzen in ein Gemisch gelegt oder werden Teile seines Körpers mit konservierenden Substanzen gespritzt, wie russische Medien berichten.

dunkles Foto, erleuchtet ist Gesicht eines Mannes mit rötlichem Schnurrbart, Augen geschlossen, auch Hände beleuchtet.
Legende: Eine Archivaufnahme von Lenins einbalsamiertem Körper: Im Mausoleum sind sein Gesicht und seine Hände zu sehen (Bild: 1991). KEYSTONE / DPA / Novosti

Das Rezept für das angeblich farb- und geruchlose und ungiftige Präparat ist geheim. Aber überliefert ist, dass für die ersten Balsamierungen auch Formalin, Kalium und Glyzerin eingesetzt worden waren. Lenins Gehirn wird separat aufbewahrt.

Debatte um Beerdigung Lenins

Seit Jahren gibt es Debatten, Lenin endlich zu beerdigen. Laut Umfragen wollen das die meisten Russen. Die russisch-orthodoxe Kirche fordert das. «Es ist eine dumme, heidnische Mission der Liebe zu Leichen, die wir auf dem Roten Platz haben. Experten wissen, dass nur noch zehn Prozent des Körpers erhalten sind», sagte einst der prominente Politiker Wladimir Medinski, der engste Beziehungen zur Kirche und zu Präsident Wladimir Putin pflegt.

Kommunisten begehen 100. Todestag Lenins

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In Moskau und anderen Städten haben Kommunisten des Gründers der Sowjetunion gedacht. Lenin habe erstmals auf der Welt einen sozialistischen Staat gegründet, sagte Kommunistenführer Gennadi Sjuganow auf dem Roten Platz am Mausoleum.

In dem Gebäude ist die Mumie von Wladimir Iljitsch Uljanow (1870-1924), wie er mit bürgerlichem Namen hiess, ausgestellt. «Wir verbeugen uns vor Wladimir Iljitsch», sagte Sjuganow. Zum Gedenken versammelten sich einige Kommunisten und legten Blumen nieder. Sjuganow sagte, dass Lenin versucht habe, eine Welt mit Gerechtigkeit und einer Freundschaft der Völker aufzubauen – ohne Kapitalismus.

Die Sowjetunion bestand fast 70 Jahre, bis sie im Dezember 1991 zusammenbrach und der Kapitalismus zurückkehrte. Obwohl er zu seinem Todeszeitpunkt nur 53 Jahre alt war, habe Lenin die Welt verändert.

Das russische Staatsfernsehen zeigte eine Debatte zwischen Sjuganow und einem kremltreuen Moderator, der im Tonfall der heutigen russischen Geschichtsschreibung Lenin schwere Fehler vorwarf. Dagegen bestand Sjuganow darauf, dass der Anführer der sozialistischen Oktoberrevolution von 1917 als «Genie» nicht nur eine Welt mit neuer Qualität aufgebaut habe, sondern bis heute Begründer eines alternativen Gesellschaftsmodells sei.

Der Moderator betonte, dass Russland schon zu Zarenzeiten vor Lenins Revolution eine Weltmacht gewesen sei. Lenin sei zwar eine grosse historische Persönlichkeit gewesen, habe aber auch grosse historische Fehler begangen.

Putin selbst verachtet zwar Revolutionen und ihre Anführer. Er gab Lenin auch die Schuld an der Zerstörung des russischen Imperiums. Gleichwohl ist auch unter Putin Lenin allgegenwärtig. Allein in Moskau stehen mehrere riesige Lenin-Denkmäler. Die weltberühmte Metro der russischen Hauptstadt trägt Lenins Namen.

Zudem sagte auch Putin einmal: «Was den Körper angeht, so sollte der nach meiner Meinung nicht angerührt werden.» Der Kremlchef betonte, dass es noch immer viele Menschen in Russland gebe, die einen grossen Teil ihres Lebens mit Lenin und «gewissen Errungenschaften der Vergangenheit, Errungenschaften der Sowjetunion» mit ihm verbänden. Solange das so sei, solle sich an dem Personenkult nichts ändern.

Umstrittenes historisches Erbe

Dagegen weisen vor allem westliche Historiker immer wieder darauf hin, dass Lenin als Begründer des Roten Terrors gelte. «Lenin leitete damals mit dem sozialistischen Experiment eine Zeitenwende ein. Und er war klar auch ein Wegbereiter für die Terror- und Gewaltherrschaft seines Nachfolgers Stalin», sagte die Osteuropa-Historikerin Tanja Penter der Deutschen Presse-Agentur. «Lenin war ein radikaler Erneuerer, der fanatisch an die Richtigkeit seiner Sache glaubte», so die Professorin. «Und er war ein Tyrann, der seine Ziele rücksichtslos gegen alle Widerstände durchsetzte.»

Viele ehemalige Sowjetrepubliken, darunter die von Putin mit Krieg überzogene Ukraine, haben ihre Lenin-Denkmäler längst abreissen lassen. In Russland aber ist daran nicht zu denken. Unter Putin haben Symbole einer Schreckensherrschaft Konjunktur, wie auch der aufflammende Kult um Lenins Nachfolger Josef Stalin zeigt.

SRF 2 Kultur, Passage, 19.01.2024, 20 Uhr ; 

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