«Wir leben in einer unanständigen Zeit. Es schwappt nicht bloss eine Woge der Anstandslosigkeit um die Welt, sondern es tobt ein Ozean.» Das schreibt der deutsche Journalist und Buchautor Axel Hacke in seinem neuen Buch.
In diesem Buch ist US-Präsident Trump ein Thema, auch die Profitorientierung von Finanzinstituten oder die Steuerpraktiken von internationalen Konzernen. In erster Linie ist das Buch jedoch ein Plädoyer für den Anstand.
SRF: Was heisst für Sie anständig sein?
Axel Hacke: Das hat viel mit einem grundsätzlichen Respekt vor anderen Menschen zu tun. Man empfindet Solidarität mit anderen Menschen. Wir teilen letztlich alle ein Schicksal. Das muss dazu führen, dass man darüber nachdenkt, dass jeder sein Leben irgendwie bewältigen muss und das wiederum führt zu diesem Respekt, den man vor anderen hat. Da sind wir dann schnell auch bei anderen Werten wie Wohlwollen, Fairness, Interesse an anderen Menschen, Neugierde und auch eine gewisse Freundlichkeit einander gegenüber. Das alles ist unter diesem Begriff zu vereinen.
Trotzdem ist Anstand etwas Subjektives. Je nach Gesellschaft sogar etwas völlig unterschiedliches?
Natürlich gibt es Regierungsformen, die dem Anstand sehr viel näher kommen als andere. Aber Anstand ist etwas, womit sich jeder einzelne beschäftigen muss. Das kann man ja nicht in Gesetze giessen. Deshalb muss sich jeder selbst fragen: Wie will ich eigentlich im Zusammenleben mit anderen sein? Was ist mir da wichtig? Es geht um unser Zusammenleben, da, wo es nicht rechtlich geregelt ist. Da, wo wir es untereinander ausmachen müssen.
Gemäss Ihrem Buch sind die Umgangsformen am Verrohen, wird der Ton aggressiver, Empathie und Solidarität verschwinden. Woran machen Sie das fest?
Es ist jedenfalls nicht so, dass ich sage, die Jugend von heute kann sich nicht mehr benehmen. Darum geht es nicht. Man kann dies beispielsweise in den Sozialen Medien festmachen, bei Facebook. Da muss man nur einmal die Kommentare anschauen. Da kann man einen Ton beobachten, der unglaublich roh, rüde und respektlos ist. Viele sagen, am Stammtisch wurde schon immer so geredet. Aber es ist eben nicht der Stammtisch. In den sozialen Medien ist es öffentlich. Die Gefahr ist, dass man sich an solche Dinge gewöhnt, dass sich ein solcher Umgangston ausweitet. Und das kann man ja auch schon sehen. Jeder Kondukteur, jeder Polizist, jeder Rettungssanitäter kann von solchen Verrohungen erzählen. Da reisst ein Ton ein, der nicht sein sollte.
Um uns herum tobt vielerorts Krieg und Terror. Menschen werden geköpft. Kinder und Frauen vergewaltigt. Beeinflusst so etwas das moralische Handeln genauso wie die eigene Hilflosigkeit in einer globalisierten Welt?
Wir leben in einer Zeit grundsätzlicher Veränderung. Viele Menschen haben das Gefühl, sie verlieren die Kontrolle über ihr eigenes Leben. Wir haben es beispielsweise mit einer Revolution unserer technischen Kommunikationssysteme zu tun. Wir arbeiten heute alle mit Geräten, deren Möglichkeiten wir vor 20 Jahren überhaupt noch nicht geahnt haben. Das geschieht mit uns, das können wir nicht beeinflussen. Es kehrt ein Gefühl von Kontrollverlust ein. Viele Menschen macht das ängstlich. Und da wo Angst wächst, wächst auch Aggression. Und dann kommen auch schnell entsprechende Umgangsformen.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.