Die Tempelanlage von Angkor ist seit 1992 ein Unesco-Weltkulturerbe und gehört zu den wichtigsten archäologischen Stätten in Südostasien. Doch seit Pandemiebeginn bleiben die Ausländer weg. Für alle, die vom Tourismus leben, ist das schlimm – für die Tempel ist es ein Segen.
Kurz nach Sonnenaufgang bieten Verkäuferinnen und Verkäufer vor der Tempelanlage frische Kokosnüsse, Kaffee und Frühstück an. Yanis ist einer von ihnen. Er zeigt Touristen, wo sie sich hinstellen müssen, um Tempel, Sonne und Wassergraben in den richtigen Fokus zu rücken.
Die letzten Jahre seien hart gewesen, da keine ausländischen Gäste gekommen seien, sagt er: «Jeden Tag kam ich hierher, öffnete meinen Stand, schaute mir den Sonnenaufgang an und betete, dass die Touristen endlich zurückkommen. Jetzt sind wieder ein paar wenige da. Das macht mich glücklich.»
Vor der Pandemie besuchten mehr als zweieinhalb Millionen ausländische Touristinnen und Touristen die mehr als siebzig Tempel von Angkor, dann schloss Kambodscha die Grenzen. Die Tempelanlagen blieben leer, die Tourismusindustrie brach zusammen, Zehntausende verloren Arbeit und Einkommen. Erst letzten November öffnete die Regierung das Land wieder.
Im Haupttempel von Angkor, wo Tänzerinnen, Elefanten und Kämpfer vor fast Tausend Jahren kunstvoll zu Steinreliefs verewigt wurden, hört man jedoch immer noch vor allem Fledermäuse. Hier steht auch Kosal Long, der stellvertretende Direktor von Apsara, der staatlichen Behörde, die für den Schutz und die Restaurierung der Tempelanlage verantwortlich ist. Angkor Wat ohne Touristen sei komplett surreal, sagt er.
«Mich erfrischt das, es ist unglaublich. Statt Touristen, sehen wir nun Restaurateure. Vor der Pandemie konnten die Tempel nicht ruhen, aber nun konnten sie zwei Jahre lang ausruhen», so Long. Die Behörden hätten diese ruhige Zeit ohne Touristen genutzt, um die Restaurationen voranzutreiben, denn Witterung, tropische Vegetation, Tiere und der Zahn der Zeit hätten den Tempeln zugesetzt.
Auch der Massentourismus wirkte sich negativ auf das Weltkulturerbe aus. So warnte die Weltbank bereits vor mehr als zehn Jahren, dass einige Tempel absinken und in Schräglage geraten, weil die unzähligen Hotels zu viel Grundwasser pumpten. Immer mehr Tourismusanbieter rieten deshalb von einem Besuch von Angkor Wat ab.
Auch Long weiss, dass die verstärkten Restaurationsarbeiten während der Pandemie nicht ausreichen werden, um die Bauwerke zu erhalten: «An einigen Orten müssen wir die Anzahl der Besucher limitieren oder die Tempel schliessen, um unser kulturelles Erbe schützen.»
Solche Bemühungen gab es jedoch bereits vor der Pandemie: Einige Tempel wurden geschlossen, der Zugang zu anderen limitiert. Doch solange die Anzahl der Besucher für die gesamte Anlage nicht begrenzt wird, bringt das wenig. Und das ist zurzeit nicht vorgesehen, denn die Anlage ist auch eine lukrative Einnahmequelle für den armen Staat.
Angkor als eine blosse Geldquelle zu verstehen, sei falsch, widerspricht Long: «Für uns Kambodschaner ist Angkor Wat mehr als ein Touristenziel. Hier sind unsere spirituellen Wurzeln. Für uns sind die Tempel heilig und Teil unserer nationalen Identität.» Was das bedeutet, wird auf dem zentralen Turm von Angkor Wat, zu dem eine steile Treppe hochführt, deutlich.
Vögel ziehen über der Tempelspitze ihre Kreise und ein junger Kambodschaner hat eben ein kurzes Gebet vor einer Buddha-Statue gesprochen. Zumindest vorläufig gehören die Tempel und Götter von Angkor noch ganz den Kambodschanern.