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Unfälle und Überholmanöver Russland: So tricksen «Tarnkappen-Autofahrer» die Polizei aus

Nicht registriert und unsichtbar: Russlands Autofahrer sind kreativ, um ihre Taten auf der Strasse zu verschleiern.

Autofahren in Russland ist gefährlich. Zwischen 15’000 und 20’000 Menschen sterben jedes Jahr auf den Strassen des Landes. Der Kreml versucht zwar, den Verkehr sicherer zu machen, aber er trifft auf renitente Autofans, die sich partout nicht an die Verkehrsregeln halten wollen.

Fahrschülerinnen und -schüler betrachten Unfallautos
Legende: Russische Fahrschülerinnen und -schüler will man aufklären – und abschrecken. Reuters

Wenn man die Videos auf YouTube oder anderen sozialen Netzwerken zum Nennwert nimmt, ist Autofahren in Russland eine lebensgefährliche Angelegenheit. Unzählige Kurzfilme dokumentieren waghalsige Überholmanöver, fürchterliche Unfälle, hohe Geschwindigkeitsüberschreitungen.

566 Mal geblitzt

Zu schnell fuhr auch ein dunkelblauer hochmotorisierter Personenwagen. Er wurde geblitzt – und zwar 566 Mal. Einmal war er über 100 km/h zu schnell unterwegs; in Dutzenden Fällen raste der Sportwagen mit 60 oder gar 80 km/h zu viel durch Moskau.

Nur: Den Fahrer konnte die Polizei nicht ausmachen. Denn der Audi war ein sogenanntes «Tarnkappen-Auto». Es war für die Ordnungshüter unsichtbar: Die Autonummer war nirgends registriert, der Wagen gehörte offiziell niemandem. Die Behörden wussten schlicht nicht, wohin die Bussen verschicken, wem den Fahrausweis entziehen.

Kein Einzelfall

«Tarnkappen-Autos» sind ein verbreitetes Phänomen. Russlands Automobilisten sind ausserordentlich erfindungsreich, wenn es darum geht, den wahren Eigentümer eines Wagens zu verschleiern.

Es gibt Autos, die sind auf Tote registriert – auf verstorbene Verwandte etwa oder auf Vorbesitzer, die nicht mehr leben. Es gibt Autos, an die Fantasienummern angebracht werden. Und es gibt die Königsklasse der «Tarnkappen-Autos».

Ein Auto fährt an einem 100 km/h-Schild vorbei
Legende: Registrierung auf Tote, ungültige Nummern, keine Anmeldung des Wagens: Einige russische Autofahrer sind erfinderisch imago images

Bei letzterer Variante meldet der Verkäufer beim privaten Kauf eines Wagens das Auto ab. Der neue Besitzer behält zwar die bisherige Autonummer, aber er meldet den Wagen nicht neu an. Gemäss Gesetz hätte er oder sie zehn Tage Zeit dafür.

Aber wenn man sich alle zehn Tage einen «neuen» Verkaufsvertrag mit aktuellem Datum ausdruckt, kann man ewig mit der alten, nicht mehr gültigen Nummer des Vorbesitzers herumfahren. Bei einer Polizeikontrolle zeigt man einfach den angeblich neuen Verkaufsvertrag und sagt, man habe den Wagen eben erst gekauft.

Den Staat übers Ohr hauen

Russland mag ein autoritär regiertes Land sein. Politisch regt sich kaum mehr Widerstand gegen den Kreml. Aber im Alltag – oder eben im Strassenverkehr – blitzt manchmal doch noch der anarchistische Zug der russischen Seele auf. Ganz nach dem Motto: Wenn man den Staat schon nicht verändern kann, dann kann man ihn vielleicht austricksen.

Die aufmüpfigen russischen Autofahrer machen das Land nicht besser, sondern gefährlicher. Gemessen an der Bevölkerung sterben in Russland sechsmal mehr Menschen im Verkehr als in der Schweiz.

Der Fahrer des dunkelblauen Wagens jedenfalls wurde zwar 566 Mal geblitzt, ohne dass man ihn fand. Gefasst wurde er aber am Schluss doch, als er im Zentrum der Hauptstadt von der Spur abkam und einen schweren Verkehrsunfall mit mehreren Verletzten verursachte.

Rendez-vous, 22.10.2021, 12:30 Uhr

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