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Ungerecht verteilter Reichtum «Die Armut hat sich weltweit massiv verringert»

Die 42 reichsten Menschen auf der Welt besitzen mehr als die ärmere Hälfte der Menschheit. Dies zeigt eine Studie der Entwicklungshilfe-Organisation Oxfam. Demnach sind die Steuergeschenke an die Konzerne schuld an dieser ungerechten Verteilung. Doch an der Studie gibt es auch Kritik, etwa von Professorin Dina Pomeranz.

SRF News: Geht die Schere zwischen Arm und Reich tatsächlich immer weiter auf?

Dina Pomeranz: Es ist ein bisschen komplizierter, als die Oxfam-Studie suggeriert. Bei den Vermögen öffnet sich die Schere tatsächlich immer weiter. Die Reichen werden immer reicher. Allerdings werden die Armen nicht immer ärmer. Bei den Einkommen nimmt die Ungleichheit weltweit gesehen sogar stark ab. Die ärmere Hälfte der Menschheit hat sehr wenig Vermögen, weil sie ihr Einkommen zum Leben braucht. Wenn nun also die Reichen reicher werden, geht die Schere trotzdem auseinander.

Eine einzige sehr reiche Person kann die statistische Ungleichheit stark vergrössern.

In Schweden gab es einen interessanten Fall: Als Ikea-Gründer Ingvar Kampard – ihm wird ein Vermögen von mehreren Milliarden Franken zugeschrieben – nach Schweden zurückzog, verstärkte sich dort die statistische Ungleichheit der Vermögen schlagartig. Und das nota bene ohne dass irgendjemand in Schweden weniger besessen hätte als zuvor. Allein die Tatsache, dass eine sehr reiche Person zuzog, vergrösserte die Ungleichheit.

Wo geht die Tendenz beim ärmeren Teil der Menschheit hin?

Interessant ist, dass die Entwicklung ins genaue Gegenteil von dem geht, was die Oxfam-Studie suggeriert. Die Armut hat sich in den letzten 20, 30 Jahren weltweit massiv verringert. Die meisten Menschen leben heute also viel besser als noch vor wenigen Jahrzehnten. Die Einkommen sind gestiegen, die Lebensqualität hat sich verbessert und die Bildung ist besser. Gleichzeitig haben Hunger sowie Kinder- und Müttersterblichkeit abgenommen. Eigentlich können wir also sehr optimistisch sein, was die Entwicklung in den ärmeren Ländern der Welt angeht.

Kind unter Moskitonetz.
Legende: Ein Moskitonetz kann verhindern, dass ein Kind mit Malaria infiziert wird. Reuters

Müssten sich die Ärmsten nicht auch ein Vermögen erarbeiten können, um in der Ersten Welt eine Chance zu haben?

Das kommt automatisch, wenn die Menschen etwas mehr Geld haben, als sie zum Leben brauchen. Sie legen sich etwas zur Seite und bauen so Vermögen auf. Typischerweise bilden sich grössere Vermögen über Generationen. Man sieht das etwa in Immobilien, die von Generation zu Generation weitervererbt werden.

Schneller kann sich die konkrete Lebenssituation der Menschen verändern, und das hat sie in den letzten Jahrzehnten auch getan. Das heisst nicht, dass wir uns nicht auch um die Ungleichheit kümmern sollten.

Wir können sehr optimistisch sein, was die Entwicklung in den ärmeren Ländern angeht.

Wie könnte man die Ungleichheit vermindern?

Man kann an beiden Seiten ansetzen: Man könnte etwa etwas tun, damit die Reichen weniger oder die Armen mehr haben. Gerade zu letzterem kann die Schweiz viel beitragen: Heute ist wissenschaftlich erwiesen, dass durch die Entwicklungszusammenarbeit sehr vielen Menschen geholfen werden kann. So hat etwa allein die Lieferung von Moskitonetzen die Fälle von Malaria in den letzten 15 Jahren um die Hälfte verringert. Das bedeutet, dass sehr viele Kinder ohne Malariaschäden gross werden und selber auch produktiv sind.

Millionen Migranten schicken Milliarden Dollar in ihre Heimatländer. Das ist sehr wichtig für die dortige Entwicklung.

Wichtig ist zudem, dass internationale Steuer- oder Handelsabkommen fair gestaltet werden. Auf diesen Punkt pocht auch Oxfam. Eine riesige Rolle spielt zudem die Migration. Millionen Migranten in den Industrieländern schicken Milliarden Dollar in ihre Heimatländer. Mit diesem Geld können dort Kinder zur Schule, oder es können kleine Geschäfte eröffnet werden. Deshalb tragen diese Überweisungen sehr stark zur Entwicklung und zur Armutsbekämpfung in den ärmeren Ländern bei.

Wo stehen wir in weiteren zehn Jahren?

Die extreme Armut wird weiter abnehmen, auch wenn sie nicht ganz auf null gehen wird. Die Ungleichheit dagegen könnte in den reichen Ländern weiter zunehmen und zu grossen politischen Unzufriedenheiten führen. Deshalb muss man sich beider Seiten bewusst bleiben. Einerseits ist es toll, dass so viele sehr arme Menschen weniger arm sind. Andererseits müssen wir darauf achten, dass die Spielregeln fair bleiben. Es darf nicht sein, dass sich das reichste halbe Prozent von den restlichen 99,5 Prozent der Menschen abhebt und sich nicht mehr an die Regeln halten muss. Für den demokratischen Zusammenhalt ist das sehr wichtig.

Das Gespräch führte Sonja Mühlemann.

Dina Pomeranz

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Dina Pomeranz ist Professorin für Entwicklungsökonomie an der Universität Zürich.

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