In der Nacht auf Montag hat ein Frachtschiff in der US-Stadt Baltimore einen Pfeiler einer Autobahnbrücke gerammt und diese so zum Einsturz gebracht. Zwei Menschen sind tot aus dem Wasser geborgen worden, zuvor galten sechs Menschen als vermisst. Die Behörden haben die Ermittlungen aufgenommen. Sie gehen im Moment davon aus, dass ein technisches Problem am Schiff zum Unfall geführt hat. Friedrich Wirz, Experte für Schiffsmaschinenbau an der Universität Hamburg, ordnet den Schiffsunfall ein.
SRF News: Handelt es sich beim Unfall in Baltimore um ein technisches Problem an Bord?
Friedrich Wirz: Das klingt für mich sehr plausibel. Auf den einschlägigen Videos ist sehr gut zu erkennen, dass es in zwei Phasen von Sekunden oder Minuten dunkel wird auf dem Schiff. Die Aussenbeleuchtung fällt aus. Das deutet auf zwei Stromausfälle hin. Es ist naheliegend, dass das mit einer Manövrierunfähigkeit einhergeht. Denn sowohl die Hauptmaschine als auch die Hilfsanlagen, insbesondere die Ruderanlage, auf solchen Containerschiffen werden mit Strom versorgt.
Auf solchen Frachtschiffen gibt es zwar nur ein Stromsystem, aber mehrere Stromerzeugungsaggregate. Wie können gleich mehrere davon ausfallen?
Fallen einzelne Stromerzeugungsaggregate aus, liegt dies in der Regel an einem Fehler im Aggregat selber. Wenn es aber zu einem gesamten Blackout an Bord kommt, liegt das in der Regel an der Verbraucherseite, wo entweder ein elektrischer Defekt vorliegt oder eine Verbrauchersituation zu einer Überlast geführt hat. Wegen des mehrfachen Ausfalls gehe ich eher von einem technischen Defekt aus.
Trotz mehrfach redundant ausgeführter Erzeugerseite kommt es mit einer gewissen Häufigkeit, aber nicht regelmässig, zu Blackout-Events.
Die Erzeugerseite ist trotz allem mehrfach redundant ausgeführt, sodass der Ausfall einer einzelnen Erzeugerkomponente nicht zu einem Blackout führen kann. Dennoch kommt es in der Anwendung mit einer gewissen Häufigkeit, aber nicht regelmässig, zu Blackout-Events. Das sollte normalerweise nicht passieren, muss aber als ein möglicher Fall berücksichtigt werden.
Wie können solche Ausfälle passieren, trotz strenger internationaler Richtlinien zum Schiffsbau, auch in Bezug auf die Stromversorgung?
Die Philosophie dieser Richtlinien geht immer davon aus, dass es zu einem einzelnen Versagen einer Komponente oder eines Teilsystems oder zu einem einzelnen menschlichen Fehler kommen kann. Dagegen muss das System abgesichert sein. So sind mehrere unabhängige Stromerzeugungssysteme installiert oder alle essenziellen Verbraucher in der Regel mindestens doppelt ausgeführt.
Die Stromversorgung soll in der Regel innert 45 Sekunden wiederhergestellt werden. In einem engen Revier wie dem Hafen von Baltimore kann das aber schon zu lange sein.
Dennoch kann ein grösserer Defekt in der elektrischen Anlage zu einem kompletten Blackout führen. Die Stromversorgung soll dann in der Regel innert 45 Sekunden wiederhergestellt werden, da man davon ausgeht, dass in normalen Umgebungen innerhalb dieser Zeit keine kritische Manöversituation entsteht. Wenn man sich aber in einem engen Revier – etwa im Hafen von Baltimore – aufhält, können 45 Sekunden aber schon zu lange sein.
Die Philosophie, dass etwas ausfallen darf, es aber in gewisser Zeit wieder herstellbar sein muss, ist in Baltimore offensichtlich auch gelungen. Das Licht ist nach einiger Zeit wieder angegangen, ist dann aber ein weiteres Mal ausgefallen. Das deutet darauf hin, dass ein etwas grösserer Defekt vorgelegen hat. Dann kann es trotz der Einhaltung aller Sicherheitsvorschriften und -vorkehrungen zu solchen Situationen kommen.
Das Gespräch führte Yves Kilchör.