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Unmenschliche Zustände Überbelegt und heruntergekommen – die italienischen Gefängnisse

Die Gefängniswärter machen Pause und trinken Kaffee. Nicht hinter den Gittern, sondern davor – in ihrer schäbigen Kantine. Die Gefängnisverwaltung hat SRF den Besuch des Zellen-Trakts nicht bewilligt. Die Gefängnisdirektorin Maria Donata Iannantuono erklärt denn auch vor und nicht hinter dem schweren Gitter, wer hier seine Strafe absitzt: Diebe, Räuber, Drogendealer, und Mörder – keine Terroristen oder Mafiosi.

Heruntergekommenes Gefängnis von aussen
Legende: Einer der beiden Zellblöcke von Velletri. Das Gefängnis ist italienischer Durchschnitt. SRF/Franco Battel

Chronisch überbelegt

Velletri ist kein Hochsicherheitsgefängnis, sondern in vielen Belangen italienischer Durchschnitt. Wie so viele andere Gefängnisse ist auch diese Haftanstalt chronisch überbelegt: «552 Männer sind hier eingesperrt», sagt Iannantouno. Eigentlich dürften es nur 411 sein.

Frau vor einem hölzernen Kreuz
Legende: Gefängnisdirektorin Iannantuono: «Wir können die Rechte unserer Angestellten nicht immer garantieren.» SRF/Franco Battel

Das heisst: 141 Häftlinge haben keinen regulären Platz. Viele schlafen in Zellen, die eigentlich für die strenge Isolationshaft vorgesehen wären. Mehr Häftlinge als erlaubt und das bei viel zu wenig Personal. 193 Angestellte arbeiten im Gefängnis, 277 müssten es eigentlich sein.

Es leiden Gefangene und Angestellte

Es ist dieser Mix aus Überbelegung und Personalmangel, der auch hier Gefangenen und Personal schwer zusetzt. Dazu kommt, dass das Gefängnis von Velletri nahe Rom stark sanierungsbedürftig ist: Das Dach ist leck, Regen sickert ein und in den Zellen breitet sich Schimmel aus. Das hält ein offizieller Untersuchungsbericht fest.

Decke mit einem Loch
Legende: Das Dach des Gefängnisses leckt. Schimmel breitet sich aus. SRF/Franco Battel

Leiden tun Gefangene und Angestellte: «Wir können die Rechte unserer Angestellten nicht immer garantieren», klagt die Direktorin. Viele machen Überstunden und schieben zu viele Nachtschichten. Das Personal ist oft überlastet, ausgebrannt sogar.

«Die Lage ist dramatisch»

Marco Costantini sass bis im Mai dieses Jahres in Rebibbia, dem grössten Gefängnis der Stadt Rom. Nun ist er draussen. Vollkommen frei ist der knapp 60-jährige im fröhlichen, pinkfarbenen Polo-Shirt trotzdem nicht. Costantini muss Sozialdienst leisten – im sogenannt alternativen Strafvollzug. Den ordentlichen, also jenen im Gefängnis, hat er während 16 Jahren kennengelernt. «Die Lage ist dramatisch. Ich bin in Gefängnissen gewesen, in denen man die Betten dreistöckig stapelt. Im obersten Bett beträgt der Abstand zwischen Nase und Decke nur 5 Zentimeter.»

Mann mit pinkem Polo-Shirt
Legende: Marco Costantini sass 16 Jahre im Gefängnis. SRF/Franco Battel

Costantini wurde wegen schwerer Finanzdelikte zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt. Er klagt, räumt aber auch ein, nicht in allen Gefängnissen sei es gleich schlimm gewesen. In manchen Zellen habe er genug Platz gehabt und die Zelle täglich während mehrerer Stunden verlassen dürfen.

Ärzte verschreiben nur Tabletten

Trotzdem: wegen des Lärms und weil das Licht nie ausgedreht wurde, litt er unter Schlafstörungen. Costantini klagt auch über die medizinische Versorgung. Gefängnisärzte verschrieben immer nur Tabletten. Richtig untersucht, zum Beispiel von einem Spezialisten, werde man im Gefängnis aber kaum.

In seinen 16 Jahren hinter Gittern lernte Costantini auch Prominente kennen: Francesco Schettino, jenen Kapitän, der das Kreuzfahrtschiff Costa Concordia gegen Felsen gesteuert hatte oder Totò Cuffaro, den korrupten Gouverneur Siziliens.

Francesco Schettino
Legende: Prominente Gefangene, wie Unglückskapitän Francesco Schettino, würden bevorzugt behandelt, meint ein ehemaliger Insasse. Keystone

Solche Prominente hätten auch hinter Gittern Privilegien: «Das Gesetz ist nicht für alle gleich», sagt Costantini. Prominente dürften häufiger Besuch empfangen, mehr telefonieren, kämen früher raus.

Ein gravierendes Urteil

2013 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg Italien wegen seines Strafvollzugs. Mauro Palma leitet die unabhängige Behörde, die den italienischen Strafvollzug beaufsichtigt. Palma sagt, auch in anderen europäischen Ländern gebe es Missstände. «Trotzdem ist das Urteil gegen Italien gravierend», meint Palma. Die Richter hätten dem italienischen Staat die Misshandlung von Gefangenen vorgeworfen.

Unmittelbar nach dem Urteil habe sich die Lage verbessert, sagt Palma. Der Staat habe viele Gefangene vorzeitig entlassen, um Platz zu schaffen. «Doch nachhaltig war das nicht.»

Nun seien Italiens Gefängnisse wieder beinahe so voll wie vor dem Strassburger Urteil. In Kampagnen hätten Politiker behauptet, Italien werde immer unsicherer, obschon gemäss der Statistik die Zahl der verübten Delikte zurückgehe. «Zur Abschreckung werden die Strafen verschärft», so Mauro Palma. Wieder mehr Verurteilte müssten ins Gefängnis – ohne dass zusätzliche Plätze geschaffen worden wären.

Viele Suizide

Die Missstände nehmen wieder zu, klagt Palma, und nennt als Beispiel Suizide: «64 italienische Häftlinge haben sich im letzten Jahr das Leben genommen. Eine hohe Zahl, etwa mit jener in französischen Gefängnissen vergleichbar.» Aber, sagt Palma, die Selbstmordrate in Italien sei eigentlich tief. «Nur in Gefängnissen ist sie hoch.»

Palma fordert ein Umdenken, doch seine Aufsichtsbehörde kann nur mahnen. Handeln müsste die Politik. Bisher hätten jedoch weder linke noch rechte Regierungen das Problem entschieden angepackt. Im Gegenteil: Politiker forderten gar, Gefangene müssten in der Haft verfaulen.

Diese Aussage stammt vom ehemaligen Innenminister Matteo Salvini. Auch im Programm der neuen Regierung geniesst der Strafvollzug keine Priorität. Kann gut sein, dass sich die Strassburger Richter bald wieder mit Italien befassen müssen.

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