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Unruhen in Zentralasien Russisches Bündnis eilt Kasachstans Regime zur Hilfe

Der kasachische Präsident behauptet, sein Land werde von aussen bedroht. Moskau entsendet deshalb spezielle Truppen.

Das weiss man über die aktuelle Situation: Aus der grössten Stadt des Landes, aus Almaty, werden weitere Unruhen gemeldet, eine Schiesserei soll es gegeben haben. Es sind offenbar grössere Verbände von Militär und Sicherheitskräften vorgerückt. Es gibt aber auch Demonstrierende, die bewaffnet sind. Die Lage scheint in der Nacht zumindest in Almaty ausser Kontrolle geraten zu sein. Es gibt Berichte von Plünderungen. Die Behörden meldeten auch mehrere getötete Soldaten. Es gibt auf Seiten der Protestierenden auch Gewaltanwendung. Die Lage bleibt unklar und unübersichtlich.

So geht es in den nächsten Tagen weiter: Als Reaktion auf die gewaltsamen Proteste hat ein von Russland geführtes Militärbündnis Kasachstan inzwischen Hilfe zugesagt. Man wolle «Friedenstruppen auf Zeit» entsenden, sagte der Vorsitzende des Bündnisses, der armenische Präsident Nikol Paschinjan. Das Bündnis reagiert damit auf einen Hilferuf des kasachischen Präsidenten Kassym-Schomart Tokajew. Um Unruhen im Innern zu bekämpfen, setzt das autoritäre Regime in Kasachstan also auf Hilfe von aussen.

Sicherheitskräfte auf einem Panzerfahrzeug
Legende: Der Präsident hat am Mittwoch den Notstand ausgerufen, nachdem das Rathaus von Almaty, der grössten Stadt Kasachstans, gestürmt worden war. Keystone

So wird die Entsendung von Truppen begründet: Der kasachische Präsident habe um Hilfe gebeten, weil das Land von aussen, also von ausländischen Kräften, bedroht werde, erklärt der bisherige SRF-Russland-Korrespondent David Nauer. «Und deswegen will das von Moskau angeführte Militärbündnis nun quasi militärische Bruderhilfe leisten.» Die Rede sei von sogenannten Friedenssoldaten, die, so die offizielle Version, für eine begrenzte Zeit entsandt werden sollen.

Das ist von dieser Begründung zu halten: Die Behauptung, Kasachstan werde von aussen bedroht, ist Nauers Einschätzung nach «konstruiert, und zwar komplett». Kasachstan werde nicht von aussen bedroht. «Sondern wir haben es hier mit einem autoritären Regime zu tun, das in eine schwere innenpolitische Krise geraten ist.» Die kasachische Regierung und der Präsident hätten in den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger die Legitimität verloren.

Daran haben sich die Proteste entzündet: Die Menschen sind vor allem über die schlechte Wirtschaftslage unglücklich und haben deswegen protestiert. Diesen Protesten haben sich zum Teil auch Sicherheitskräfte angeschlossen. «Präsident Tokajew scheint mindestens einen Teil des Staatsapparats nicht mehr unter Kontrolle zu haben, und deswegen hat er sich an Moskau gewandt», so Nauer. «Und die Russen sollen nun das kasachische, autoritäre Regime retten. Und wie es aussieht, machen sie das noch so gern.»

Das bedeutet der Einmarsch mit dem Bündnis: Dass Russland jetzt mit einem Bündnis in einen ehemaligen Sowjetstaat einmarschiert, ist auch ein starkes Zeichen gegen aussen. «Geopolitisch ist das für die Russen ein ganz grosser Gewinn, wenn man so will, ein Jackpot», erklärt Nauer. «Denn wenn diese Militäraktion glückt, dann kann der Kreml Kasachstan sehr eng an sich binden. Das kasachische Regime verdankt dann Moskau sein Überleben. Das verpflichtet natürlich.»

Nun holt sich Russland das Land quasi zurück in seinen Orbit – wenn die Sache glückt. Eine Militäraktion kann ja auch schiefgehen.
Autor: David Nauer SRF-Auslandredaktor

Es könne zu einer grösseren Verschiebung der Machtverhältnisse in Zentralasien führen. Kasachstan war in den letzten Jahrzehnten immer relativ unabhängig. In der Aussenpolitik hatte es gute Beziehungen zu Russland wie auch zu China, aber auch zum Westen. «Nun holt sich Russland das Land quasi zurück in seinen Orbit – wenn die Sache glückt. Eine Militäraktion kann ja auch schiefgehen.»

Karte Kasachstan und Nachbarländer, wichtigste Städte
Legende: SRF

SRF 4 News, 06.01.2022, 06:10 Uhr ; 

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