Nur gerade zwölf Minuten vor ihrem Amtsende hat die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, doch noch ihren Bericht zu Chinas Umgang mit der uigurischen Minderheit veröffentlicht. Was darin steht, hat es in sich: Die UNO-Organisation wirft China massive Menschenrechtsverletzungen vor. In Internierungslagern in der Region Xinjiang seien womöglich gar Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen worden.
Willkürliche Inhaftierungen, Folter, Zwangsarbeit, sexuelle Gewalt, Diskriminierung sind nur einige Stichworte in dem Bericht. Die Journalistin Alexandra Cavelius hat selbst mit Uigurinnen und Uiguren gesprochen – und deren Berichte seien weit grauenhafter, als die nüchtern gehaltenen Darstellungen im UNO-Bericht.
SRF News: Sie haben den UNO-Bericht gelesen. Wie beurteilen Sie ihn?
Alexandra Cavelius: Meiner Meinung nach hätte der Bericht sehr viel schärfer formuliert werden können. Die Beweislage ist längst erdrückend. Seit Jahren gibt es Beweise für Menschenrechtsverletzungen, zuletzt auch die Leaks der Xinjiang Police Files .
Trotzdem ist es enorm wichtig, dass die UNO-Hochkommissarin für Menschenrechte diesen Bericht vorgelegt hat. Er hat grosse Sprengkraft und macht vielen Uiguren Hoffnung auf eine Änderung der Situation.
Sie haben selbst Interviews mit Uigurinnen und Uiguren geführt, die fliehen konnten. Decken sich Ihre Erkenntnisse mit denen des UNO-Berichts?
Die Berichte der Zeugen, mit denen ich gesprochen habe, gehen sehr viel mehr ins Detail. Sie sind viel grauenhafter als das, was in diesem sehr nüchternen Bericht der UNO-Hochkommissarin beschrieben wird. Aber dennoch decken sie sich mit Verbrechen wie Zwangssterilisation, Vergewaltigung oder massenhaften und willkürlichen Inhaftierungen.
Der Bericht ebnet den Weg für Massnahmen der UNO-Mitgliedstaaten und auch der Wirtschaftswelt, die bislang von uigurischer Zwangsarbeit profitiert hat.
Zumindest theoretisch öffnet der Bericht die Tür für internationale Prozesse gegen die Drahtzieher der Unterdrückung der Uiguren. China selbst weist die Vorwürfe ja als Lügen zurück. Wie gross ist die Chance, dass der Bericht etwas bewegen wird?
Die Chance besteht auf jeden Fall. Der Bericht ebnet den Weg für Massnahmen der UNO-Mitgliedstaaten und auch der Wirtschaftswelt, die bislang von uigurischer Zwangsarbeit profitiert hat. Im besten Fall könnte der Bericht einen Wendepunkt einleiten, sodass sich die Menschenrechtslage in Xinjiang verbessert. Ich gehe allerdings davon aus, dass Peking weiter blockieren wird. Klar ist auch: Es gibt keinen Mechanismus, um China zur Einhaltung entsprechender Forderungen zu zwingen.
Michelle Bachelet hat den Bericht erst einige Minuten vor ihrem Amtsende herausgegeben. Sie stand massiv unter Druck: China wollte die Herausgabe verhindern. Westliche Staaten hingegen drängten auf die Veröffentlichung. Wie beurteilen Sie diese Herausgabe in letzter Minute?
Das zeigt, wie gross der Einfluss Chinas im wichtigsten Menschenrechtsgremium der Welt ist. Umso wichtiger und umso explosiver ist das Erscheinen dieses Berichts: Es war quasi ein Test dafür, ob die UNO noch unabhängig und glaubwürdig ist.
Das Gespräch führte Rebecca Villiger.