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Untersuchung zu Kapitol-Sturm Schläge, Tritte, Todesangst: Polizisten schildern ihre Erlebnisse

Bei der ersten Anhörung des Untersuchungsausschusses zum Angriff auf das US-Kapitol erinnern sich Polizisten an die brutale Attacke.

Einer der Beamten, Aquilino Gonell, sagte bei der Ausschusssitzung im Repräsentantenhaus, er habe an jenem Januartag gedacht, er würde sterben. Er beschrieb den Gewaltausbruch «wie etwas aus einer mittelalterlichen Schlacht».

Die Beamten hätten sich mit ihren Händen Zentimeter für Zentimeter gegen den gewalttätigen Mob verteidigen müssen. Er und seine Kollegen seien geschlagen und getreten, mit Hämmern und Stöcken malträtiert sowie mit Chemikalien besprüht worden.

Für die meisten Leute hat der 6. Januar ein paar Stunden gedauert, aber für diejenigen von uns, die mittendrin waren, hat es nie aufgehört.
Autor: Aquilino Gonell Angehöriger der Kapitol-Polizei

Gonell berichtete bei der Anhörung, er sei früher für das US-Militär im Irak-Krieg gewesen. Doch an jenem 6. Januar habe er mehr Angst gehabt als während seines gesamten Irak-Einsatzes. Er habe bei der Attacke diverse körperliche Verletzungen davongetragen und werde immer noch behandelt. «Mehr als sechs Monate später versuche ich immer noch, mich von meinen Verletzungen zu erholen», sagte der Beamte der Kapitol-Polizei, dem während seiner Aussage mehrfach die Tränen gekommen waren.

Trump-Anhänger stürmen Kapitol

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Aufgeputschte Trump-Anhänger beim Sturm auf das Kapitol
Legende: Aufgeputschte Trump-Anhänger beim Sturm auf das Kapitol Keystone

Anhänger des damaligen US-Präsidenten Donald Trump hatten am 6. Januar den Sitz des US-Kongresses in Washington erstürmt. Dabei kamen fünf Menschen ums Leben, darunter ein Polizist. Die beispiellose Attacke auf das Herzstück der amerikanischen Demokratie löste damals national wie international einen Schock aus.

Trump musste sich wegen des Angriffs einem Amtsenthebungsverfahren stellen, weil er seine Anhänger zuvor in einer Rede aufgestachelt hatte. Am Ende des Verfahrens wurde der Republikaner jedoch freigesprochen. Der Ausschuss im Kongress soll die Hintergründe des Angriffs untersuchen.

Hinzu komme die seelische Belastung. «Für die meisten Leute hat der 6. Januar ein paar Stunden gedauert, aber für diejenigen von uns, die mittendrin waren, hat es nie aufgehört.» Die Attacke habe ein bleibendes Trauma ausgelöst.

Organisiertes Chaos

Polizist Michael Fanone sagte bei der Sitzung, er sei gepackt, geschlagen, mit einem Elektroschocker malträtiert und gleichzeitig als Verräter beschimpft worden. Er habe in jenem Moment gedacht, die Wahrscheinlichkeit sei gross, «dass ich auseinandergerissen oder mit meiner eigenen Waffe erschossen werde», sagte der Beamte der Hauptstadt-Polizei. «Ich dachte an meine vier Töchter, die ihren Vater verlieren könnten.»

Diese Randalierer waren organisiert. Sie waren bereit für einen Kampf. Und sie waren kurz davor, erfolgreich zu sein.
Autor: Harry Dunn Angehöriger der Kapitol-Polizei

Der schwarze Beamte Harry Dunn von der Kapitol-Polizei beschrieb ebenfalls, wie die Angreifer alle möglichen Waffen – auch Fahnenstangen oder Teile von Metall-Fahrradständern – gegen Polizisten eingesetzt und diese blutig geschlagen hätten. Er selbst sei mehrfach auch mit dem N-Wort beschimpft worden. Nie zuvor sei ihm das in einer Polizeiuniform passiert. Mit dem Begriff «N-Wort» wird heute eine früher gebräuchliche rassistische Bezeichnung für Schwarze umschrieben.

«Diese Randalierer waren organisiert. Sie waren bereit für einen Kampf. Und sie waren kurz davor, erfolgreich zu sein», sagte der Vorsitzende des Ausschusses und demokratische Parlamentarier Bennie Thompson. Bei der Anhörung wurde auch mehrfach Videomaterial von den Gewaltszenen gezeigt, unter anderem von Körperkameras der Polizisten.

Korrespondentin : «US-Demokratie war in Gefahr»

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«Die Zeugenaussagen der Polizisten in Uniform machen deutlich: Was am 6. Januar geschah, war alles andere als harmlos», sagt SRF-Korrespondentin Isabelle Jacobi. «Die Sicherheit der Parlamentsabgeordneten war in Gefahr – und mit ihr die US-Demokratie.»

Die Einrichtung des Untersuchungsausschusses war Gegenstand heftiger politischer Auseinandersetzungen zwischen Republikanern und Demokraten. Republikaner hatten sich gegen dessen Einsetzung gewehrt und argumentiert, es gebe an anderer Stelle genug Aufarbeitung der Attacke. Sie warfen den Demokraten vor, vor allem parteipolitische Motive bei der Untersuchung zu verfolgen.

Im Mai hatten die Republikaner im Senat zunächst die Einsetzung einer unabhängigen Untersuchungskommission zum Angriff verhindert. Die Demokraten entschieden daraufhin, aus eigener Kraft ein Untersuchungsgremium im Repräsentantenhaus zu installieren, wo sie die Mehrheit haben.

Die demokratische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, verärgerte die Republikaner-Führung damit, dass sie selbst zwei republikanische Abgeordnete – ausgewiesene Trump-Kritiker – ins Gremium holte und zugleich zwei Trump-getreuen republikanischen Parlamentariern einen Sitz im Ausschuss verweigerte.

Die restlichen republikanischen Abgeordneten boykottieren die Untersuchungskommission nun. Lediglich Liz Cheney und Adam Kinzinger sind dabei. «Sie sind inzwischen die einzigen Republikaner in der grossen Kammer, die Donald Trump offen kritisieren. Von der Parteiführung werden sie als Verräter angesehen.» Angesichts der verhärteten Fronten und der einseitigen Besetzung des Gremiums fehle es ihm nun auch an Legitimation, schliesst Jacobi.

  

Echo der Zeit, 27.07.2021, 18:00 Uhr ; 

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