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Urteil im Prozess gegen KZ-Wachmann
Aus Rendez-vous vom 23.07.2020. Bild: Keystone
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Urteil gegen Ex-SS-Wachmann «Dieses Urteil ist ein Wendepunkt in der Rechtsprechung»

Ein Gericht verurteilte einen heute 93-jährigen ehemaligen KZ-Wachmann zu zwei Jahren Bewährung. Es befand ihn des 5230-fachen Beihilfe zum Mord für schuldig. Weil der Angeklagte zur Tatzeit minderjährig war, war allerdings ein Jugendstrafgericht zuständig. SRF-Korrespondent Peter Voegeli erklärt die Hintergründe.

Peter Voegeli

Peter Voegeli

Italien-Korrespondent

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Peter Voegeli ist seit Januar 2022 Italien-Korrespondent von Radio SRF. Von Rom aus hat er auch den Vatikan, Griechenland und Malta im Blick. Zwischen 2005 und 2011 berichtete er als USA-Korrespondent aus Washington DC. Danach war er während dreieinhalb Jahren Moderator von «Echo der Zeit» und von 2015 bis 2021 Deutschland-Korrespondent in Berlin. Von 1995 bis 2005 arbeitete der Historiker als Korrespondent für Schweizer Printmedien in Bonn und Berlin.

SRF News: Wie lautet die Begründung für das Urteil?

Peter Voegeli: Das Gericht sagt, man mache sich mitschuldig, wenn man dieses Vernichtungs-System mit am Laufen hält, auch ohne, dass man konkret jemanden umbringt. Das macht auch Sinn: Man wird ja auch als Mittäter verurteilt, wenn man an der Ecke Schmiere steht, während ein anderer einen Raubüberfall begeht.

Der Anwalt des KZ-Wächters protestierte und sagte, es könne nicht sein, dass allein die Mitgliedschaft in der Wachmannschaft als Beihilfe zum Mord gewertet werde. So gesehen ist das ein Wendepunkt in der Rechtsprechung.

Der eigentliche Wendepunkt war das Urteil gegen den berühmt-berüchtigten Wachmann Demjanjuk 2011. Aber dieses Urteil wurde nicht rechtskräftig, weil Demjanjuk Revision eingelegt hat, aber vor einem definitiven Urteil gestorben ist.

Zuvor musste man eine konkrete Beteiligung an einer ganz konkreten Tat nachweisen, um jemanden wie diesen Wachmann zu verurteilen.

Insofern ist das heutige Urteil schon ein Wendepunkt. Zuvor musste man nämlich eine konkrete Beteiligung an einer ganz konkreten Tat nachweisen können, um jemanden wie diesen Wachmann zu verurteilen.

Was bedeutet jetzt dieses Urteil für allfällige ähnlich gelagerte Fälle, zum Beispiel im Zweiten Weltkrieg?

Falls es noch zu einem Prozess kommt, wird ähnlich geurteilt werden. Aber vielleicht war dieser Prozess ja der letzte, denn die Täter sind inzwischen sehr alt. Doch jedes Urteil hat immer auch eine gesellschaftliche Wirkung. Ein ehemaliger Häftling dieses Arbeits- oder Konzentrationslagers Stutthof erzählt, wie er gesehen hat, dass ein SS-Mann einen jungen Mann gezwungen hat, seinen eigenen Vater mit einem Knüppel zu erschlagen. Und daran sollte man sich erinnern, wenn zum Beispiel AfD-Fraktionschef Alexander Gauland davon spricht, dass das Dritte Reich nur ein Vogelschiss in der tausendjährigen Geschichte Deutschlands sei.

Sie berichten für uns aus Berlin. Wissen Sie trotzdem, wie der 93-Jährige heute reagiert hat, als er das Urteil empfangen hat?

Eine unmittelbare Reaktion kennt man noch nicht, ausser man war im Saal. Aber wir wissen, wie er in diesem Prozess argumentiert hat: Er hat gesagt, er habe von den Verbrechen nichts gewusst. Er sei auch nicht freiwillig zur SS und in dieses Lager, sondern dorthin abkommandiert worden, weil er nicht Frontdienst-tauglich gewesen sei.

Dass man von den Verbrechen in den KZ nichts wusste, das ist historisch widerlegt.

Er sei sehr autoritätsgläubig gewesen, er habe ja auch niemanden getötet und nie einen Schuss abgegeben. Und diese Umstände hat das Gericht ja mit diesen zwei Jahren auf Bewährung berücksichtigt. Aber dass man nichts wusste, das ist historisch widerlegt. Und wir wissen auch, dass man in der Wehrmacht nicht erschossen wurde, wenn man sich weigerte, Juden umzubringen.

Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.

Rendez-vous, 23.07.2020, 12:30 Uhr

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