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US-Abgeordneter George Santos Der Lügner im Kongress

George Santos hat über seine Herkunft gelogen, seinen Werdegang, sein Schicksal. Zurücktreten aber möchte er nicht.

Wo auch immer George Santos dieser Tage auftaucht, wird er gejagt. Von einer Meute von Journalistinnen und Journalisten, die nur eines wissen will: Stimmt die neueste Enthüllung? Und wird er jetzt zurücktreten? Der Gejagte sagt dazu meistens nichts. Oder: Nein, er werde nicht zurücktreten.

Manchmal streitet er eine neue Enthüllung auch ab. So wie jene, dass er in früheren Jahren in Brasilien als Dragqueen aufgetreten sein soll. Was an sich kein Problem wäre, würden der Politiker Santos und Teile seiner republikanischen Partei keine Stimmung gegen Dragqueens machen. Dass kurz nach seinem Dementi – allerdings schwer zu verifizierende – Bilder und Videos aufgetaucht sind, trägt nicht dazu bei, Santos’ Glaubwürdigkeit zu stärken.

Lügen über Lügen

Sein Weg ist mit Lügen gepflastert. Er log so viel, dass der Vorsitzende der Demokraten im Repräsentantenhaus, Hakeem Jeffries, findet: «Ich halte George Santos für nicht geeignet, im Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten zu dienen.»

Mann umringt von Journalisten.
Legende: Ein typisches Bild aktuell in Washington D.C: Santos umringt von Journalisten. Reuters/Elizabeth Frantz

Santos sagte, er stamme von Holocaust-Überlebenden ab. Er sagte, er sei Jude. Er sagte, seine Mutter sei während des Terrorangriffs auf New York im World-Trade-Center gewesen. Nichts davon stimmte. Santos log über seine Arbeitgeber, seine Schulen, seine sportlichen Erfolge. Jetzt wird darüber gerätselt, wie er es ins Repräsentantenhaus geschafft hat.

Einige republikanische Parteikollegen haben Santos zum Rücktritt aufgefordert. Die meisten allerdings scheinen kein Problem mit ihm zu haben. Der eben erst nach 15 Wahlgängen zum Vorsitzenden des Repräsentantenhauses gewählte Kevin McCarthy belohnte Santos jüngst mit zwei Kommissionssitzen. Fragen des Fernsehsenders CNN, ob er nur an Santos festhalte, um seine eigene, hauchdünne Mehrheit nicht zu gefährden, wehrte McCarthy genervt ab.

Die Illusion gewählt

Genauso genervt sind allerdings so manche Wählerinnen und Wähler des New Yorker Wahldistrikts 3. «Er hat die Gesellschaft hier angeschaut und sich gesagt: Hier leben so und so viele Juden, also sagt er, er sei Jude. Dann hat er gesehen: Hier leben so und so viele Schwule, also betont er, er sei schwul.»

Mann.
Legende: Santos während der Wahlgänge rund um den neuen Vorsitzenden des Repräsentantenhauses, Kevin McCarthy. Reuters/Evelyn Hockstein

Zusammen mit weiteren Mitstreiterinnen hat Sally Marzouk die Gruppe «besorgte Bürgerinnen des Wahldistrikts 3» gegründet. Die meisten sind Demokratinnen, aber nicht nur.

Neben Marzouk sitzt Susan Naftol und ist furchtbar wütend: «Alle hier haben jemanden oder kennen jemanden, der bei 9/11 umgekommen ist oder davon betroffen war. Also hat er das aufgeworfen. Er präsentierte ein äusserst sorgfältig ausgewähltes Bild von sich und von seinem Leben, und die Leute haben diese Illusion gewählt.»

Büro ohne Computer

Nun sitzt diese «Illusion» in Washington und soll die amerikanische Politik mitgestalten. Für Naftol und Marzouk eine unmögliche Vorstellung: «Er geniesst doch keinerlei Glaubwürdigkeit. Er wird deshalb nicht in der Lage sein, die Gelder für unseren Distrikt zu sichern, die wir brauchen.»

Die beiden Frauen machen sich auf zu Santos’ Büro, so wie es alle Abgeordneten in den USA in ihren Wahldistrikten unterhalten, um mit ihren Wählerinnen und Wählern zu kommunizieren. Über dem Eingang prangt immer noch der Name von Santos’ Vorgänger. Der Mitarbeiter, der durch die Türe zu den Besucherinnen spricht, weiss nicht, ob und wann Santos plant, anwesend zu sein. Im Büro sind weder Computer noch andere Einrichtungsgegenstände zu erkennen. «Das übersteigt alles», findet Marzouk.

10v10, 26.01.2023, 21:50 Uhr

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