Die Gruppe von Ex-Häftlingen trifft sich in einer ungewohnten Umgebung – im Fernsehstudio des «Public Access TV» von San Antonio. In ein paar Minuten beginnt die Show «World Peace». Steve Huerta erklärt, warum sie hier sind: «Die Sendung ist enorm wichtig für uns Betroffene, weil wir damit unsere Gemeinschaft aufwecken und dazu auffordern, die politische Landschaft zu verändern.» Jeanette, Victor und Martha nehmen in einer Talk-Runde Platz.
Martha ist nicht nervös, Victor schon. Der Countdown läuft, und los geht die Sendung. Victor will das Stigma der Ex-Häftlinge in der Gesellschaft beseitigen, wie er sagt. Martha sagt, man müsse Kandidaten wählen, die Ex-Häftlingen eine faire Chance im Leben gewähren. Und Jeanette findet politische Ignoranz ganz generell gefährlich, besonders in diesen Zeiten.
In Texas können Straftäter nach Ende des Strafvollzugs und der Bewährungsfrist wieder wählen gehen. Aber sie müssen selber aktiv werden und eine Wiederherstellung ihres Wahlrechts beantragen. Das tun viele nicht. Organisationen wie «All of us or none» versuchen, die Wahlbeteiligung von Ex-Häftlingen zu erhöhen. Sie kämpfen für weniger strenge Wahlgesetze.
In Texas bemüht sich Steve Huerta seit 20 Jahren um die Rechte von Ex-Häftlingen. Er spricht von einer klaren Diskriminierung. Die Justiz bringe alle zum Schweigen, die mit dem Gesetz in Konflikt gerieten: «Es ist ein gezielter Angriff auf unsere Gemeinschaften. Die Steuerzahler statten Polizisten aus, um in unseren Quartieren zu patrouillieren und die Leute zu verhaften. Das hat nichts mit öffentlicher Sicherheit zu tun.»
Es sei vielmehr eine Frage der Kontrolle. «Kriminalität ist mehr als etwas, das Kriminelle tun. Es ist das Resultat einer bewussten Vernachlässigung», fährt Huerta fort. «Die Regierenden weigern sich, uns die Ressourcen zu geben, damit wir nicht untergehen.» In San Antonio gebe es Stadtteile, in denen Zehntausende bereits einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind.
«80 Prozent haben keinen Schulabschluss und keine Arbeit. Wir können das ändern, wenn wir die Regierungsmacht mitbestimmen. Wenn wir Ex-Häftlinge wählen gehen, dann können wir führende Köpfe auswechseln, und zwar auf allen Ebenen der US-Politik», so Huerta kämpferisch. 98'000 Ex-Häftlinge habe er dazu gebracht, sich neu als Wähler zu registrieren. Dieses Jahr will er zusätzliche 25'000 Ex-Häftlinge dazu motivieren, an die Urne zu gehen.
Tatsächlich könnten Ex-Häftlinge in Texas – einem Staat mit einer sehr tiefen Wahlbeteiligung – durchaus Einfluss auf Wahlresultate haben. Bloss: Wen würden sie wählen? Er sei selber Demokrat, sagt Huerta – wie die meisten der Ex-Häftlinge, die wählen gehen. Auch wenn es durchaus auch Republikaner unter ihnen gebe, fügt er an. Eine Studie schätzt, dass rund 75 Prozent der Stimmen von Ex-Häftlingen an demokratische Kandidaten gehen würde, auch weil sie oft Minderheiten angehören, die tendenziell demokratisch wählen.
So erstaunt es nicht, dass entsprechende Reformen vor allem in demokratisch regierten Gliedstaaten populär sind. Virginia gab vor zwei Jahren 150'000 Ex-Häftlingen ihr Stimm- und Wahlrecht zurück, und in New York können dieses Jahr 35'000 Delinquenten auf Bewährung neu an die Urne gehen.
Auch in Florida kommt im November eine Vorlage zur Abstimmung, die 1,5 Millionen Ex-Häftlingen das Wahlrecht zurückgeben würde. Sie hat in dem konservativen Staat jedoch wenig Chancen. Die Aktivisten im TV-Studio in San Antonio haben derweil eine klare Vorstellung ihrer Mission: «Der Wandel muss zuerst in Texas geschehen, dann national.» Das Ziel sei, die USA zu einem besseren Land, einem «great country» zu machen, sagt die Patriotin Martha.