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US-Präsidentschaftswahl «Trump muss an Fronten kämpfen, die er vor vier Jahren gewann»

Das Coronavirus hat in den USA nicht nur die Menschen, sondern auch die Wirtschaft krank gemacht. Das schadet dem amtierenden Präsidenten Donald Trump. Zurzeit liegt sein Herausforderer Joe Biden in Umfragen mit bis zu 14 Prozentpunkten in Führung. SRF-Korrespondentin Isabelle Jacobi fasst die Lage zusammen.

Isabelle Jacobi

USA-Korrespondentin, SRF

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Nach dem Studium in den USA und in Bern arbeitete Jacobi von 1999 bis 2005 bei Radio SRF. Danach war sie in New York als freie Journalistin tätig. 2008 kehrte sie zu SRF zurück, als Produzentin beim Echo der Zeit, und wurde 2012 Redaktionsleiterin. Seit Sommer 2017 ist Jacobi USA-Korrespondentin in Washington.

SRF News: Kann man diesen Umfragen trauen?

Isabelle Jacobi: Nun, das ist umstritten. Das Trump-Lager sagt nein, und weist darauf hin, dass vor vier Jahren der Sieg von Hillary Clinton auch als sicher galt, fälschlicherweise. Aber: Zurzeit ist der Abstand zwischen Biden und Trump viel deutlicher als damals, und Trump liegt national, aber gleichzeitig auch in wichtigen umkämpften Staaten hinten – wie in Michigan, Florida oder Pennsylvania.

Trumps Beliebtheit ist auf rund 40 Prozent gesunken, so tief wie noch nie.

Er muss sogar an Fronten kämpfen, die er vor vier Jahren bequem gewann, wie in Georgia oder Ohio. Dort gibt seine Kampagne im Moment viel Geld für Werbung aus. Das zeigt, wie sehr Präsident Trump in die Defensive geraten ist.

Die USA leiden unter Corona, dazu kommen die Proteste wegen Polizeigewalt gegen Schwarze. Trump hat sich zu beiden Themen kontrovers geäussert. Ist sein Rückstand damit zu erklären?

Ja, wie Präsident Trump mit diesen beiden Krisen umgegangen ist, hat ihm geschadet. Rund 60 Prozent der Befragten kritisieren sein Krisenmanagement. Seine Beliebtheit ist auf rund 40 Prozent gesunken, so tief wie noch nie. Auch seine Drohung, die Armee gegen Protestierende einzusetzen, kam nicht gut an.

Bei welcher Wählerschaft verliert Trump?

Da sind zunächst die Afroamerikaner und die Latinos. Sie sind laut Umfragen Trump noch abgeneigter als zuvor. Hinzu kommen Weisse mit höherer Bildung und die Frauen.

Je weniger Joe Biden auftritt, desto beliebter scheint er zu werden.

Rechnen kann Trump immer noch mit den Weissen ohne Collegeabschluss. Recht gute Noten erhält er auch weiterhin für die Wirtschaftspolitik. Aber solange die USA in einer tiefen Krise stecken, ist es schwierig für ihn eine positive Botschaft zur Wirtschaft zu verbreiten.

Biden tritt kaum öffentlich auf. Ist das wegen Corona?

Er ist gestern gerade aufgetreten und hat Trump heftig wegen der eskalierenden Covid-19-Krise angegriffen. Aber Bidens Auftritte sind rar. Im Gegensatz zum Präsidenten meidet er Massenanlässe in der Corona-Krise. Erstaunlicherweise kommt ihm das zugute. Je weniger er auftritt, desto beliebter scheint er zu werden. Seine Zurückhaltung steht im Kontrast zum lautstarken Präsidenten und ist durchaus Programm.

Wie wollen die Republikaner ihren Kandidaten doch noch zum Sieg führen?

Präsident Trump baut ganz auf seine treue Wählerbasis. Deshalb will er unbedingt wieder an Massenveranstaltungen auftreten, wie in Tulsa, das aber zu einer Katastrophe wurde – mit den leeren Rängen und den Ansteckungen im Trump-Team.

Es dauert noch vier Monate bis zu den Wahlen, und das ist in der US-Politik eine kleine Ewigkeit.

Seine Kampagne setzt auf alte Rezepte: Sie stellt Trump als Kandidaten des Wandels dar, obwohl er seit fast vier Jahren in Washington regiert. Die Demokraten bezeichnen sie hingegen als linksradikal, auch wenn Biden offensichtlich ein gemässigter Kandidat ist. Das alles wirkt widersprüchlich, und verpufft vor der Kulisse einer Pandemie, die in immer mehr Bundesstaaten ausser Kontrolle gerät.

Ist das Rennen schon gelaufen?

Nein, das kann man so nicht sagen. Es geht noch vier Monate bis zu den Wahlen, und das ist in der US-Politik eine kleine Ewigkeit. Es kann noch viel geschehen und Biden kann wieder Boden verlieren, sobald er stärker an die Öffentlichkeit tritt. Viele demokratische Wähler- und Wählerinnen sind nämlich nicht begeistert von Biden.

Das Gespräch führte Daniel Hofer.

Rendez-vous vom 01.07.2020 ; 

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