Andere Menschen sammeln Briefmarken. Grover Norquist sammelt Unterschriften von US-Politikern, die mit ihrer Signatur versprechen, nie für Steuererhöhungen zu stimmen. «Wir vergrössern das schriftliche Versprechen oft, damit die Politiker an einer Medienkonferenz demonstrativ unterschreiben können – vor Kameras und vor Zeugen.»
Viele Menschen würden zwar behaupten, dass ihr Wort gelte – doch die Erfahrung habe ihn gelehrt: «Politiker reden viel und vergessen schnell», sagt Norquist. Deshalb brauche es zusätzlich eine Unterschrift.
«Unterschreib nur, wenn du es ernst meinst»
Die Idee für das Anti-Steuer-Versprechen kam Norquist schon als Zwölfjähriger. Umgesetzt hat er sie dann aber erst 26 Jahre später. Damals, 1985, war er Chef der Organisation «Americans for Tax Reform».
Inzwischen haben Hunderte Politiker ihr Gelübde abgelegt – im US-Kongress, aber auch in den Bundesstaaten und den Gemeinden. Fast ausschliesslich Republikaner.
Gebrochen hat es seit US-Präsident George Bush Senior fast niemand mehr. Dieser hatte 1988 am Parteitag versprochen, die Steuern nie zu erhöhen. Er unterschrieb bei Grover Norquist – und hob die Steuern trotzdem an. «Bush war ein erfolgreicher Präsident. Aber er hat das Versprechen gebrochen und die Wiederwahl verloren. Das hat allen Politikern vor Augen geführt: Unterschreib nicht, ausser, du meinst es wirklich ernst!»
Ein Nachtwächterstaat – mehr nicht
Die Politiker begannen Grover Norquist zu fürchten, einige reden sogar von Erpressung. Wer nicht unterschreibt, wird im Wahlkampf oder im Wiederwahlkampf durch Norquist bekämpft.
Dieser hat Einfluss und Macht in konservativen Kreisen. Er ist im Vorstand der Waffenlobby NRA und der mächtigen American Conservative Union. Erpressung? Das sei Blödsinn, entgegnet der Harvard-Ökonom. «Was die Kritiker nicht mögen, ist, dass wir aufzeigen, wer ehrlich ist und wer lügt», argumentiert er.
Norquist ist gegen höhere Steuern, weil mehr Steuern in der Regel auch mehr Staat bedeuten. «Der Staat soll das Eigentum schützen, die Grenze nach Kanada bewachen, Kriminelle ins Gefängnis stecken.» Alles, was darüber hinausgehe, sei unnötig. Ein Nachtwächterstaat, mehr nicht. «Das Ziel muss sein, dass die Verwaltung so klein ist, dass man sie in der Badewanne ersäufen könnte.»
«Hexenmeister des Anti-Steuer-Kults»
Der Anti-Steuer-Lobbyist Norquist vertritt seinen Standpunkt mit Beharrlichkeit und Verve. Und mit einer gehörigen Portion Humor. Er erzählt gerne Witze – auch solche, die Republikaner auf die Schippe nehmen. Auch sonst entspricht er nicht den gängigen Klischees. Er unterstützt eine konservative Schwulenrechtsgruppe und ist mit einer Muslima verheiratet.
Das alles macht den «Hexenmeister des Anti-Steuer-Kults», wie er in den Medien schon bezeichnet wurde, auch ausserhalb konservativer Kreise sympathisch – solange ihm niemand im Weg steht.
Tiefere Steuern für die Wirtschaft
Im Präsidentschaftswahlkampf unterstützt Grover Norquist aktiv Donald Trump. Dieser will die Steuern nicht erhöhen, sondern kräftig senken. «Trump hat das Versprechen unterschrieben, aber wir haben es noch nicht erhalten. Erst wenn wir es haben und es auch online stellen können, erst dann gilt es.»
Und falls Trump gewählt und dann doch wankelmütig würde? Dann sei da immer noch der US-Kongress. Norquist ist überzeugt, dass dieser fest in republikanischer Hand bleibt. Tiefere Steuern würden die Wirtschaft ankurbeln.
Dem Staat die Macht nehmen
Und was, falls doch Hillary Clinton gewinnt? Norquist Augen verkleinern sich hinter den Brillengläsern, seine Miene verdüstert sich. Clinton und Obama hätten sich ins Amt gelogen.
Beide hätten versprochen, die Steuern für die Mittelklasse nicht zu erhöhen – und hätten es dann doch getan. Hillary Clinton sei noch nicht mal im Amt und habe bereits gesagt, sie sei für höhere Steuern auf Süssgetränken und auf Waffen.
Für Grover Norquist hört da der Spass auf. Denn Steuern würden dem Staat Macht geben. «Wir können diese jedoch beschränken. Wem, wie mir, die individuelle Freiheit wichtig ist, sollte sich dafür einsetzen, die Macht des Staates einzudämmen und die Verfassung, die uns unsere Freiheit gibt, zu verteidigen.» Dann wird er plötzlich von seinen Gefühlen übermannt. «Die Verfassung wurde uns geschenkt. Sie zu schützen, das motiviert mich in meinem Kampf.»