SRF News: Die US-Regierung hat 65 Millionen Dollar an das UNO-Hilfswerk für palästinensische Flüchtlinge (UNRWA) eingefroren. Weshalb?
Fredy Gsteiger: In den USA herrscht die Meinung vor, dass die UNRWA den Palästinenserkonflikt in die Länge ziehe. Und das nicht erst seit der Ära von US-Präsident Donald Trump. Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) definiert den Status palästinensischer Flüchtlinge anders als den anderer Flüchtlinge. Bei den Palästinensern gelten nicht nur jene, die bei der Staatsgründung Israels 1948 geflüchtet sind, als Flüchtlinge, sondern auch deren Kinder und Kindeskinder. Der Flüchtlingsstatus dauert also an, wodurch es noch sehr lange, wenn nicht ewig neue Flüchtlinge geben wird. Das erschwert die Diskussionen über das Rückkehrrecht der Palästinenser, eines der heikelsten Themen im Nahostkonflikt.
Die USA werfen der UNRWA etwa vor, unter ihren Mitarbeitenden befänden sich auch Anhänger der radikalislamischen Hamas.
Zudem werfen die USA der UNRWA etwa vor, in ihren Schulen würden antiisraelische Bücher benutzt, unter ihren Mitarbeitenden – hauptsächlich Palästinenser – befänden sich auch Anhänger der radikalislamischen Hamas und diese habe Schulen des Hilfswerks missbraucht, um dort Kommandostrukturen zu etablieren. Es ist also eine lange Liste von Vorwürfen.
Die Kritik der USA an der UNRWA ist nicht neu. Warum werden die Hilfsgelder gerade jetzt gestoppt?
Weil sich die Nahostpolitik der USA unter der Regierung von Donald Trump massiv geändert hat. Trump hat nicht mehr den Anspruch, der Vermittler für eine Nahostlösung zu sein. Er hat auf Druck von rechten, vor allem evangelikalen Kreisen in den Vereinigten Staaten klar Position zugunsten Israels bezogen. Das zeigt sich auch bei der Anerkennung Jerusalems als israelische Hauptstadt, die Trump durchgesetzt hat. Man hat den Eindruck, für Trump seien die palästinensischen Anliegen zweit- oder drittrangig.
Das Hilfswerk für Palästinenser wird viele dieser Leistungen nicht mehr erbringen können.
Welche Folgen hat der Stopp der US-Hilfsgelder für die Palästinenserinnen und Palästinenser?
Er hat gravierende Konsequenzen. Die Vereinigten Staaten sind der grösste Beitragszahler des Palästinenserhilfswerks. Wenn nun plötzlich die Hälfte der US-Beiträge wegfallen, wird die UNRWA viele Aufgaben nicht mehr erfüllen können, ausser es würden andere Geldgeber einspringen.
Man hat den Eindruck, für Trump seien die palästinensischen Anliegen zweit- oder drittrangig.
Das Hilfswerk übernimmt in den besetzten Gebieten und den Flüchtlingslagern viele Basisaufgaben für die Palästinenser. Die UNRWA ist mit 30'000 Mitarbeitern die grösste UNO-Organisation. Sie führt Spitäler und über 700 Schulen. Zudem war sie am Wiederaufbau von Gaza massgeblich beteiligt. Wenn da jetzt Geld fehlt, ist ganz klar: Das Hilfswerk für Palästinenser wird viele dieser Leistungen nicht mehr erbringen können.
Die Spannungen im Nahen Osten könnten weiter zunehmen.
Wie wirkt sich der Entscheid auf Israel aus?
Zwiespältig: Einerseits teilen die Israelis die Kritik der USA und einiger anderer Länder an der UNRWA. Auf der anderen Seite haben die Israelis ein Interesse daran, dass es das Hilfswerk für Palästinenser gibt. Sonst müssten sie in den besetzten Gebieten diese Leistungen als Besatzungsmacht entweder selber übernehmen, oder diese würden nicht mehr erbracht, was zu einer Verarmung und Verwahrlosung der Gebiete führen würde. Und das wiederum hätte zur Folge, dass die Spannungen im Nahen Osten weiter zunähmen.
Das Gespräch führte Eliane Leiser.