Goma ist für Velofahrer ein Albtraum: Am Wegrand liegen scharfkantige Lavasteine, in der Strasse gibt's Löcher, so gross wie eine Badewanne, an die Verkehrsregeln hält sich keiner. Doch davon lässt sich der Goma Cyclist Club GCC nicht ausbremsen.
Mitten im Morgenverkehr zwischen zerbeulten Kleinbussen und Autos sitzt Charles-Guy Makongo auf einem alten BMW-Motorrad und treibt 14 Velofahrer an: «Allez, allez! Go, go, go!», ruft er. In rasendem Tempo geht es die Avenue Mobutu runter dem Kivusee entgegen. Vorbei an einem Pickup voller UNO-Blauhelme mit aufgepflanztem Maschinengewehr. Bei der Banque Populaire du Congo geht es um eine scharfe Rechtskurve. «Achtung!», ruft der Coach: «Der Kerl im roten Auto will euch den Weg abschneiden!»
Mit energischen Handzeichen macht Makongo seinen Zöglingen den Weg frei. Dabei übersieht er die Mama, welche mit einem Korb voll Maniok auf dem Kopf die Strasse überquert. Der Radfahrer im hellblauen Trikot streift sie, Mama kommt ins Wanken – und kann sich halten. Die Fahrer können wieder beschleunigen.
Radrennfahrer statt Bandit
Seit einem Jahr treibt Coach Makongo seine Pedaleure durch Goma. Die Stadt ist eine Kriegsruine, welche seit Jahren von UNO-Blauhelmen bewacht wird. Am Horizont köchelt der Vulkan Nyiragongo. Der geologische Untergrund ist so instabil, wie das Land selber. Die Chance, ein Räuber zu werden, sei für junge Männer in dieser Gegend besonders gross, sagt der 51-jährige Jurist aus Kamerun, der in Goma eine Anwaltskanzlei leitet. Deshalb habe er den GCC gegründet.
«Nicht alle Leute in diesem Land können studieren oder als Politiker reich werden», sagt er. Auch wollten nicht alle Rebellen werden. «Velofahren soll den jungen Männern ohne Perspektive eine Zukunft geben. Sie auf den richtigen Weg bringen, sie beschäftigen.» Aus diesem Grund sitze er jeden Morgen auf dem Motorrad: «Wenn es mir gelingt, diesen jungen Männern zwischen diesen Trümmern ein Sinn und ein Ziel zu geben, dann bin ich glücklich.»
Chance auf eine Karriere
Zwei Teammitglieder schafften bereits den Sprung in die kongolesische Nationalmannschaft. Einer hat kürzlich auf einer Rundfahrt in Ruanda ein Preisgeld von umgerechnet 400 Franken gewonnen. Um solche Ziele zu erreichen, hält Makongo seine Fahrer jeden Morgen Bewegung.
Heute gibt's eine Zusatzrunde um das UNO-Gelände. Nach zehn Minuten kehren die Fahrer erschöpft zur Verkehrskreisel vor der Banque Populaire zurück. Der Coach zieht Bilanz: «Oh la la! Heute war es ein bisschen kompliziert. Wie immer am Montag hatte es viel Verkehr. Aber Gratulation: Gute Leistung! Wir hatten einen kleinen Unfall mit der Mama mit dem Maniok. Sie ist umgefallen, aber das lässt sich regeln. Ich wünsche euch einen guten Tag. Wir sehen uns morgen wieder.»
Ich trainiere für ein besseres Leben.
Die meisten der 30 Clubmitglieder sind zwischen 15 bis 20 Jahre alt. Sie kommen aus armen Familien. Faustins Vater zum Beispiel starb als der Sohn sechs Jahre alt war. Seine Mutter verkaufe Fisch, Tomaten und Zwiebeln, sagt Faustin. Sie schaffe es so, ihren Kindern mindestens einmal pro Tag eine Mahlzeit zu ermöglichen. «Aber es ist hart. Deshalb trainiere ich für ein besseres Leben»
Das Ziel der Radrenn-Clubs sei, die Muskeln zu stärken und gute Fahrer zu werden. «Doch der tiefere Sinn ist, einmal ein würdiges Leben führen zu können, unseren Kindern dereinst gute Eltern zu sein und anständige Menschen zu werden», so Faustin weiter. Sein Sportskamerad Augustin nickt: «Velofahren ist mehr als nur Sport. Es verhindert Konflikte.» Gelegentlich kämen Ruander aus dem Nachbarland zum Trainieren nach Goma, oder man gehe zu ihnen nach Ruanda. «Viele von ihnen wurden gute Freunde.»
Frühstück im «Café de la Paix»
Der Ostkongo sei eine Weltgegend, wo man sich gelegentlich frage, weshalb man ausgerechnet hier geboren worden sei, meint Coach Makongo. Deshalb wolle er seine sportlichen Zöglinge auf etwas Positives fokussieren. «Wir wollen die Wahrnehmung dieser Stadt verändern. Goma soll nicht nur Schlagzeilen mit Bürgerkrieg und Grausamkeiten machen. Es soll auch eine normale Stadt sein. Eine Stadt des Sports.»
Es gebe noch anderen Sport als den Fussball – Velofahren gehöre dazu. Die Bemühungen seien auf der Strasse bereits spürbar: «Vor einem Jahr hiess es noch: ‹He! Was wollt ihr da? Velos haben auf der Strasse nichts zu suchen! Und heute haben wir unseren Platz erobert und man respektiert uns», so Makongo.
Das Morgentraining ist zu Ende, jetzt geht es zum gemeinsamen Frühstück – es wird immer vom Coach gespendet. Für einige ist es die einzige Mahlzeit an diesem Tag. Eingenommen wird es im «Café de la Paix».