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Sohn eines Priesters verlangt Ende des Schweigens
Aus Echo der Zeit vom 19.10.2017. Bild: Keystone
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Verbotene Früchte Der Sohn eines Priesters verlangt ein Ende des Schweigens

Vincent Doyle wuchs ohne Vater auf: Bis er merkte, dass er seine halbe Kindheit mit ihm verbracht hatte. Jetzt kämpft Doyle gegen das Tabu in der katholischen Kirche – und will den Vatikan dazu bewegen, Farbe zu bekennen.

  • Vor 25 Jahren war Irland schockiert: Der beliebte Bischof von Galway entpuppte sich als der Vater eines 18-jährigen Sohnes.
  • Heute, nach all den Missbrauchsskandalen, klingt die Geschichte harmlos.
  • Doch die Kinder von Priestern bleiben ein Tabu für die katholische Kirche.

Man schrieb das Jahr 1993, die beliebteste Talkshow des irischen Fernsehens, die «Late Late Show», war damals schon in ihrer 34. Saison. Zu Gast war die Amerikanerin Annie Murphy, die Mutter des 18-jährigen Peter Casey. Dessen Vater, Bischof Eamon Casey, war im Jahr zuvor nach Südamerika geflohen, als seine Beziehung bekannt geworden war.

Wenn der Bischof seinen Sohn nur zwei- oder dreimal pro Jahr besucht hätte, wäre die Geschichte nie publik geworden, sagte Murphy. Doch im Publikum sassen Freunde des Bischofs, die Annie Murphy als Lügnerin und als Flittchen beschimpften. Der Bischof werde von ihr als Schurke beschrieben, sie selbst überraschenderweise stets als Heldin.

Der Moderator, der legendäre Gay Byrne, stand bedingungslos auf Seiten des Bischofs, der seinen Sohn zur Adoption hatte freigeben wollen, um den Skandal zu vermeiden, und Teile der Diözesankasse veruntreut hatte.

«Wenn ihr Sohn», sagte Byrne salbungsvoll, «nur halb so gut herauskommt wie sein Vater, wird er sich nicht beklagen können.» Worauf Annie Murphy entgegnete, sie selbst sei auch nicht schlecht.

Die Episode lieferte gar den Stoff für eine respektlose Ballade der Gruppe Saw Doctors:

Mighty mighty Lord, Almighty. Off with the collar, off with the nighty, Jesus, Mary and Holy St. Joseph, the beads are rattling now...

(Zu Deutsch: Weg mit dem Priesterkragen, weg mit dem Nachthemd, da rasseln die Perlen des Rosenkranzes)

Vincent Doyle lebt am Südrand von Connemara, der Landschaft im Nordwesten der Stadt Galway am Atlantikrand. Er kann sich noch gut an jenes Interview erinnern und an den Schock, den es auslöste: «Annie Murphy hat dem klerikalen Herrschaftsanspruch in Irland den ersten schweren Schlag versetzt. Nach dieser Sendung fragten sich die Leute: Hast du das gesehen?»

Doyle ist der Sohn eines Priesters, J.J. Doyle – eine gängige Abkürzung für die Vornamen John Joe –, der 1995 starb. Vincent war im Glauben, der Priester sei sein Pate. Sie verbrachten fast alle Wochenenden zusammen und waren sich eng verbunden. Der inzwischen 34-jährige Vincent, ein Psychotherapeut, erinnert sich genau, wann er die Wahrheit erfuhr: «Es war fünf nach neun Uhr abends, am Samstag, dem 19. Mai 2011.»

Vincent war 28 Jahre alt. Er kramte in alten Papieren und fand eine Anzahl Gedichte in der Handschrift des Priesters. Er selbst habe sich in seiner Jugend ebenfalls an Gedichten versucht, und er spürte die Übereinstimmung. Da sei etwas eingerastet. Und so fragte er seine Mutter: «Er war doch mein Vater, nicht wahr?» Eine Träne in ihrem linken Auge habe 28 Jahre des Grübelns aufgelöst.

Doyle küsst die Hand des Papstes, 2014 in Rom.
Legende: Gläubiger Katholik, obwohl er das Zölibat kritisiert: 2014 begegnete Doyle in Rom dem Papst. Keystone

Nie habe er ein derart befreiendes Gefühl erlebt. Er lernte nicht nur seinen Vater kennen, sondern sein ganzes Selbst. Doyle lässt keine Kritik an seinem verstorbenen Vater zu. Aber er hat sich inbrünstig dem Ziel verschrieben, das Schweigen zu brechen:

Priester haben heute Kinder und erzwingen die Geheimhaltung. So erbt das Kind ein Opfer, das der Vater hätte erbringen sollen.
Autor: Vincent Doyle Sohn eines Priesters

Für das Kind bedeute die Schweigepflicht, dass seine Bedürfnisse jenen eines Erwachsenen untergeordnet würden: «Das ist die bewusste, absichtliche Vernachlässigung eines Kindes», sagt Doyle. Er empört sich gegen den Versuch, dergleichen zu tun, es gebe nur eine Handvoll namentlich bekannter Kinder von Priestern.

Er nennt die irischen Nachnamen, die wörtlich Sohn des Priesters und Sohn des Bischofs bedeuten, und fragt entgeistert, wie man den Tatbestand verleugnen könne. Ironisch fragt er, ob Gott vielleicht schon kahl sei, weil er sich so oft habe die Haare raufen müssen.

Priester mit Kruzifix
Legende: Gegen das Vergessen: Doyle kämpft für die Rechte von Kindern, die sich ein Leben lang nach Anerkennung sehnen. Keystone

Zugegebenermassen: Im Frühmittelalter, als die monastische irische Kirche ihre Blütezeit erlebte, vererbten Äbte ihre Würde in der Regel an ihre Söhne oder Brüder. Doch seit knapp 900 Jahren ist der Zölibat, die priesterliche Ehelosigkeit, verbindlich.

Die Geheimhaltung schütze nicht nur den einzelnen Priester, sondern auch den Zölibat, folgert Doyle.

Ich habe nichts gegen ein enthaltsames Leben, solange das auch praktiziert wird. Ich wende mich gegen die Vorspiegelung der Keuschheit.
Autor: Vincent Doyle Sohn eines Priesters

Immer wieder kommt er auf das Gesamttotal von rund 400'000 katholischen Priestern zurück: «Ist es denkbar, dass die alle keusch sind?», fragt er rhetorisch. Dieser Ansatz ist typisch für den unverändert gläubigen Katholiken, der einst ebenfalls das Priesterseminar besucht hatte, sich aber nie ordinieren liess: Er wendet sich nicht gegen den Zölibat aus Prinzip, sondern will die Unmöglichkeit des Ansinnens ad absurdum führen.

Denn Doyle bleibt dem katholischen Denken treu, er argumentiert systemkonform. Deshalb hat er nicht nur eine Webseite für Priesterkinder eingerichtet, sondern die irische Bischofskonferenz zur Verabschiedung von Richtlinien gebracht, wie Priester mit ihren Kindern umgehen sollten.

In Kürze will sich Doyle mit dem Präfekten der vatikanischen Kongregation für den Klerus in Genf treffen: der Vatikan müsse unbedingt dasselbe tun. Doyle zitiert flüssig aus Enzykliken und den Aussagen hoher Prälaten: Er will die Kirche reformieren, nicht bekämpfen, denn:

Die Kirche für das Schweigen verantwortlich zu machen, ist, wie wenn man dem Auto die Schuld für einen Unfall gibt. Dabei ist stets der Fahrer schuld.
Autor: Vincent Doyle Sohn eines Priesters
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