Australien möge zwar am Ende der Welt liegen, aber die Geografie schütze das Land nicht vor Bösem. So lautete jüngst die Warnung des obersten Spionagechefs Australiens, Mike Burgess. Die Insel Australien sei nicht isoliert, sagte er mit Blick auf die Geschichte.
Dass Australien weit weg liegt vom Rest der Welt, wurde früher als «Tyrannei der Distanz» bezeichnet. Menschen und Güter brauchten Monate, um von und nach Europa zu kommen. Doch Australien war durch diese Distanz oftmals auch geschützt vor Konflikten in anderen Teilen der Welt. In der Zeit des sekundenschnellen Internetverkehrs aber bedeute diese Tyrannei der Distanz nicht mehr, dass Australien auch distanziert sei von Tyrannei.
Tyrannei, die sich auf dem Antipoden-Kontinent in unterschiedlicher Form manifestiere. So seien drei Länder bereit, auf australischem Boden zu töten und Anschläge auf Dissidentinnen und Dissidenten zu verüben. Um welche Länder es sich handelt, sagte der oberste Spion nicht.
Burgess' seltene Warnrede
Derartige Aussagen eines Spionagechefs sind in Australien äusserst selten. Spionageabwehr ist per Definition ein Geschäft, das sich im Hintergrund abspielt. Diese Warnung habe nicht nur das Ziel, Australierinnen und Australier zu sensibilisieren, sagt James Der Derian. Er ist Professor und Leiter des Instituts für Internationale Sicherheitsstudien an der Universität Sydney.
Die Aussagen seien verdeckt eine Warnung an jene Länder, die sich in die internen Angelegenheiten Australiens einmischen wollten. Dies sei eine bessere Form der Kommunikation als über ein diplomatisches Hin und Her, das rasch eskalieren könne, so Der Derian.
Gerüchte um gemeinte Staaten
Kaum war Burgess mit seiner Rede fertig, begannen die Medien zu spekulieren. Es kursieren Listen mit Ländern, die in Australien lebende Kritikerinnen und Kritiker ihrer Regierung im Fokus haben könnten: Russland, China, sogar Kambodscha und Ruanda. Diese Staaten sind dafür bekannt, kritische Stimmen im Ausland zu verfolgen oder – wie es im Spionagejargon heisst – zu «neutralisieren».
Der Derian warnt vor solchen Spekulationen – nicht nur, wenn es um das potenzielle Ausschalten von Kritikern geht, sondern um Spionage generell. Er erinnert daran, dass sich viele nach der letzten, ebenfalls leicht geheimnisvoll formulierten Rede des Spionagechefs völlig verrechnet hätten. Damals gingen alle von Russland aus. Dabei habe Indien ein Netz von Spionen unterhalten. Mehrere Mitglieder der indischen Botschaft in der Hauptstadt Canberra seien daraufhin des Landes verwiesen worden.
Auch Partner spionieren
James Der Derian ist nicht überrascht, dass auch ein Land spioniert, dass Australien eigentlich freundlich gesinnt ist. Alle Nationalstaaten, vor allem aufstrebende Grossmächte wie Indien, sammelten auf diese Weise Informationen über Handels- und strategische Partner oder Konkurrenten.
Laut Spionagechef Burgess interessieren sich ausländische Spione in Australien derzeit vor allem für Informationen über Seltene Erden. Das sind wichtige Mineralien, von denen Australien viele hat. Auch sei der Verteidigungspakt Aukus zwischen den USA, Grossbritannien und Australien von Interesse. Denn Canberra kauft von den USA U-Boote mit geheimer Gefechtstechnologie.