Jetzt ist es definitiv: SPD, Grüne und die FDP starten offizielle Koalitionsverhandlungen. Damit ist klar, welche Parteien künftig Deutschland regieren, wenn nicht in letzter Minute doch noch etwas schiefgeht. Das sei allerdings eher unwahrscheinlich, sagt Kajo Wasserhövel. Er leitet eine Firma für Strategieberatung in Berlin.
SRF News: Wie muss man sich die Verhandlungen vorstellen?
Kajo Wasserhövel: Dabei geht es über die gesamte Bandbreite der Themen, die im Regierungsalltag eine Rolle spielen. Alle Fragen der inneren Sicherheit, der Aussen- und der Energiepolitik. Wie bewältigt man den Klimawandel besser, als das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist? Und vor allem kommen die Zahlen auf den Tisch.
Am Ende des Tages muss ein Bundeshaushalt aufgestellt werden. Alles muss finanzierbar sein.
Bisher gab es zwar ein gegenseitiges Abtasten, aber richtig spannend wird es, wenn am Ende des Tages ein Bundeshaushalt aufgestellt werden muss. Alles muss finanzierbar sein. Und da wird es noch einmal viel ernsthafter und härter. Aber trotzdem glaube ich, dass genügend Vorrat an gutem Willen, Lösungen zu finden, vorhanden ist.
Wie verhindert man, dass die Verhandlungen im Chaos enden?
Man muss wissen, dass ein Koalitionsvertrag kein Dokument ist, das schon vorliegt und zwischen zwei Kanzleien verhandelt wird, sondern es ist eine Vereinbarung, die über einen komplexen Verhandlungsprozess neu aufgebaut werden muss. Das funktioniert nur, wenn die Generalsekretäre der Parteien eine klare Struktur für den Prozess haben.
Ich fand es gut, dass man es bis auf die letzte Runde vermieden hat, in Nachtsitzungen reinzugehen.
Es gibt das Plenum, in dem die grossen Linien abgesprochen werden. Und es gibt eine Vielzahl von Unterarbeitsgruppen, die richtig in die Themen einsteigen. Das Ergebnis davon sind manchmal Konsens-Dissens-Papiere. Die werden wiederum ins Plenum eingebracht. Im Hintergrund bringt ein Redaktionsbüro die unterschiedlichen Texte zu einem gemeinsamen Dokument zusammen, so dass am Ende eine Vereinbarung steht, die Bestand hat und auf die sich alle beziehen.
Wie koordiniert man solche Verhandlungen?
Die Rahmenbedingungen sind sehr wichtig. Ich fand es zum Beispiel gut, dass man es bis auf die letzte Runde vermieden hat, in Nachtsitzungen reinzugehen. Das ist eine «Verhandlungskunst», die Frau Merkel kultiviert hat, die aber nicht unbedingt immer dazu führt, dass alle stets ganz wach am Tisch sassen. Man muss also einen Rahmen schaffen, in dem konzentriert, in Ruhe und sachlich diskutiert werden kann.
In den letzten Jahren war es so, dass die Ministerien den Koalitionsvertrag sehr akribisch abarbeiteten.
Man muss darauf achten, dass man dem anderen zuhört, die Argumente aufnimmt und man es nicht wie ein Aufeinandertreffen von Kräften versteht. Nicht dass sich derjenige, der die stärksten Muskeln hat, am Ende durchsetzt oder der, der das beste Sitzfleisch hat, sondern dass man wirklich versucht, eine gute Lösung zu finden. Und das scheint, so wie ich die Aussagen von Herrn Scholz und Frau Baerbock, den Herren Habeck und Lindner wahrnehme, bisher gut funktioniert zu haben.
Am Ende der Verhandlungen steht ein Koalitionsvertrag. Wie viel Einfluss hat der auf die tatsächlichen Regierungsgeschäfte?
In den letzten Jahren war es so, dass die Ministerien sehr akribisch den Koalitionsvertrag abarbeiteten. Das ist nicht nur etwas für die Galerie, sondern das prägt auch sehr stark das Handeln. Aber es kommt eben immer sehr viel aus dem toten Winkel rein. Die Pandemie hat zum Beispiel nicht im Koalitionsvertrag 2017 gestanden. Aber trotzdem ist ein Koalitionsvertrag und die Art, wie er zustande kommt, eine wichtige Grundlage fürs Regieren, aber auch dafür, wie man zusammenarbeitet.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.