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Verschärfungen in Österreich Lockdown für Ungeimpfte – so lief der erste Tag

Auf den Strassen von Wien wird die Massnahme mehrheitlich begrüsst. Das stellt SRF-Korrespondent Peter Balzli fest.

Weil die Corona-Ansteckungszahlen steigen und um einen Kollaps des Gesundheitssystems zu verhindern, hat die österreichische Regierung die Schraube gegenüber Ungeimpften angezogen. Damit sollen diese unter anderem dazu gebracht werden, sich doch noch impfen zu lassen.

Bereits am Sonntag sah man vor den Impfzentren lange Schlangen. «Das ist auch heute Montag so, zumindest in Wien», sagt Peter Balzli. Und die Zeichen stehen auf weitere Verschärfungen. In Diskussion ist offenbar auch eine nächtliche Ausgangsbeschränkung für alle Bürgerinnen und Bürger, «gerüchteweise schon ab Mittwoch», so der SRF-Korrespondent.

Schlange auf Trottoir
Legende: Schlangen vor den Impfzentren: Allerdings sei unklar, ob die Menschen, die anstehen, sich erstmals impfen liessen, oder ob sie für eine Auffrischungsimpfung da seien. Keystone

Doch wie kommt dieses strengere Corona-Regime bei der Bevölkerung an? «Ich habe am Vormittag auf der Mariahilferstrasse, der grössten Einkaufsstrasse Wiens, viele Leute befragt», sagt Balzli. Seine Bilanz: «Fast alle befürworten die Ausgangsbeschränkung für Ungeimpfte.»

Ausnahmen vom Ausgehverbot

Das liege einerseits daran, dass die Menschen die Pandemie langsam wirklich satt hätten. «Aber es liegt auch daran, dass dieser sogenannte Lockdown für Ungeimpfte, wie es die Regierung nennt, eben kein wirklicher Lockdown ist.» Tatsächlich bleibt sehr viel erlaubt für Ungeimpfte: Einkaufen in Supermärkten, auch Spaziergänge, Jogging, Besuche von engen Bezugspersonen und sogar Kirchenbesuche.

«Wohl auch deshalb befürworten die meisten Menschen hier diese Massnahmen.» Nur sehr wenige sprechen sich gegen die Massnahmen aus. Eine junge Frau in Wien ärgert sich: «Es sollte keine Impfpflicht geben, aber so gesehen ist das jetzt eine Impfpflicht, sonst darf man ja gar nicht mehr aus dem Haus. Ich finde das ziemlich schlimm.»

Allerdings: Jetzt müssten die Geschäfte eigentlich bei allen Kunden prüfen, ob sie geimpft sind oder nicht. Erste Umfragen zeigen, dass viele Geschäfte dies noch nicht tun. «Sie nehmen damit das Risiko in Kauf, bis zu 3600 Euro Strafe bezahlen zu müssen, wenn sie erwischt werden.»

Expertinnen und Experten äussern Zweifel, ob die Massnahmen die gewünschte Wirkung zeigen. In einem internen Protokoll, das der österreichischen Presseagentur APA vorliegt, heisst es etwa, es seien kaum spürbare Auswirkungen auf die aktuelle Situation zu erwarten. Dies vor allem, weil die Beschränkungen kaum kontrollierbar seien.

Kritik der Oppositionsparteien

Epidemiologinnen und Epidemiologen sowie die Ärztekammer plädieren deshalb für weitere Massnahmen zur Beschränkung, zum Beispiel Homeoffice. Der Präsident der Ärztekammer sprach sich im ORF zudem für eine Impfpflicht für das Gesundheitspersonal und pädagogische Fachpersonen aus. Aus medizinischer Sicht wäre auch eine generelle Impfpflicht für die gesamte Bevölkerung sinnvoll, sagte er weiter. Die Politik hat sich allerdings bereits gegen eine solche ausgesprochen.

Auf den Entscheid der österreichischen Regierung und der Bundesländer hat Opposition umgehend reagiert. Die SPÖ kritisiert, dass die Regierung den Sommer verschlafen habe. Sie sei schuld an der jetzt dramatischen Situation. Und der Chef der rechten FPÖ, Herbert Kickl, der aktuell selbst Corona-positiv ist, schrieb auf Facebook, das Land habe nun ein «Corona-Apartheidsystem». Er rief zu einer Demonstration am nächsten Samstag auf und kündigte eine Klage beim Verfassungsgerichtshof an.

Soziologe Bernhard Kittel befürchtet Entfremdung

Box aufklappen Box zuklappen

Auch wenn der Lockdown für Ungeimpfte in der Praxis relativ wenig Auswirkungen haben wird, so hat er wohl Auswirkungen auf die Stimmung. Dieser Meinung ist Wirtschaftssoziologe Bernhard Kittel von der Uni Wien.

«Das wird zu noch mehr Trotzreaktionen führen», glaubt er. Und dazu, dass diejenigen, die sich nicht impfen lassen wollen, sich noch mehr abgrenzen vom Rest der Bevölkerung. Dass die Regierung jetzt eingreifen müsse, sei angesichts der aktuellen Lage klar. «Sie hat das Problem, dass ein Grossteil der Bevölkerung sich sehr wohl bemüht, einen Beitrag zum Ende der Pandemie zu leisten. Und dass es aber eine Minderheit gibt, die das nicht tut.»

Kittel findet es deshalb nachvollziehbar, dass die Regierung Massnahmen ergreift, die diejenigen, die bereits tun, was sie können, aussparen. Die grundsätzliche Überlegung dabei sei, «dass eine Gesellschaft sehr wohl irgendwann einmal sagen kann: Jetzt ist ein Punkt erreicht, jetzt geht es nicht mehr weiter. Wer jetzt nicht kooperiert, der muss Folgen spüren.» Das sei aus Beobachterperspektive schon ein legitimes Argument.

«Ob jetzt die konkrete Massnahme zielführend ist, im Sinne von einer Reduktion der Infektionszahlen, sei dahingestellt. Das bin ich nicht derjenige, der das bewerten kann. Aber die gesellschaftlichen Folgen einer zunehmenden Entfremdung derjenigen, die angesprochen sind, scheinen mir eine sehr realistische Befürchtung.»

Rendez-vous, 15.11.2021, 12:30 Uhr ; 

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