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Verschiebung des EU-Austritts «Brüssel will einen No-Deal-Brexit unbedingt verhindern»

Das britische Parlament hat am Abend klar entschieden: Der Brexit, der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union, soll verschoben werden. Der Stichtag könnte der 30. Juni werden – wenn die EU mitspielt. Und das werde sie, glaubt SRF-Korrespondent Oliver Washington.

Oliver Washington

Bundeshausredaktor

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Oliver Washington ist seit 2003 bei SRF. Ab 2007 war er Mitglied der Inland-Redaktion, von 2014 bis 2019 berichtete er als EU-Korrespondent aus Brüssel. Nun ist er in der Bundeshausredaktion von SRF tätig. Washington hat Soziologie, Geografie und Wirtschaftsgeschichte studiert.

SRF News: Wie realistisch ist der neue Termin für den EU-Austritt?

Oliver Washington: Das Szenario sieht so aus: Die britische Premierministerin Theresa May legt das Abkommen nächste Woche nochmals dem Parlament vor. Stimmt dieses zu, dann bräuchte es eine Verschiebung, weil das britische Parlament für den Austritt noch verschiedene Gesetze verabschieden müsste. Dem würden die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Gipfel Ende nächster Woche mit Sicherheit zustimmen, das scheint mir eigentlich klar.

Ich glaube, dass die EU auch zu einer längerfristigen Verschiebung Ja sagen würde.

Doch wenn das Abkommen auch beim dritten Anlauf scheitern sollte, wie stünde dann die EU zu einer Verlängerung über den 30. Juni hinaus?

Diesbezüglich herrscht grundsätzlich eine grosse Skepsis, weil die Briten dann bei den EU-Wahlen Ende Mai teilnehmen müssten. Und weil der Brexit dann nochmals über Monate, vielleicht sogar bis Ende 2020 das politische Geschehen dominieren würde. Und das in einer Zeit, in der die EU vor grossen Herausforderungen steht. Da ist die Frage des inneren Zusammenhalts. Da sind Russland, die USA, China und andere wichtige Themen. Trotzdem glaube ich, dass die EU auch zu einer längerfristigen Verschiebung Ja sagen würde.

Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates, twitterte gestern Abend, er würde sich für ein späteres Austrittsdatum einsetzen.

Dieser Tweet ist sehr interessant, auch weil sich Tusk damit anders äussert als Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Er sprach lediglich von einer Verlängerung bis Ende Mai – also bis vor den EU-Wahlen. Bei Tusk kommt zum Ausdruck, dass die EU überhaupt kein Interesse an einem No-Deal-Brexit hat. Das wäre ein kolossales Fiasko. Doch sollten die Briten ein weiteres Mal Nein sagen zum Abkommen, sollte die EU Nein sagen zu einer längerfristigen Verschiebung, würde es genau darauf hinauslaufen.

Die EU könnte Bedingungen formulieren, welche für die Brexiteers, aber auch für die Remainer ungeniessbar sind.

Deshalb ist eine längerfristige Verschiebung durchaus realistisch. Es kann aber auch sein, dass die EU diese an Bedingungen knüpft. So müssten die Briten mit Sicherheit nochmals bei den EU-Wahlen Ende Mai teilnehmen. Und die EU könnte Bedingungen formulieren, welche für die Brexiteers, aber auch für die Remainer ungeniessbar sind, sodass sie dem Abkommen zustimmen.

Was, wenn das nicht passiert, wenn May auch ein viertes Mal scheitert?

Das ist das grosse Problem, dann wird es unübersichtlich. Und genau deshalb tun sich viele in Brüssel so schwer damit. Sie wollen von den Briten wissen, was wäre denn das Ziel einer Verlängerung? Vielleicht eine Volksabstimmung oder Neuwahlen, oder etwas anderes?

Der Brexit ist keine Fussnote in den Geschichtsbüchern, sondern ein ganz dickes Kapitel.

Aber auch mit einem Ziel bliebe es unübersichtlich und unberechenbar. Und deshalb ist es meines Erachtens sinnvoll, wenn wir uns an das halten, was klar ist. Und das ist, dass die EU einen No-Deal-Brexit unbedingt verhindern will.

Weil kein Deal verheerende Auswirkungen auf die Wirtschaft hätte?

Das ist das eine, es wäre aber auch ein politisches Erdbeben. Und hinzu kommt die Geschichte. Der Brexit ist ja keine Fussnote in den Geschichtsbüchern, sondern ein ganz dickes Kapitel. Und stellen wir uns vor, es kommt zu einem No-Deal-Brexit, dann würden die Damen und Herren Juncker, Tusk, Merkel oder auch Macron als diejenigen in die Geschichte eingehen, die eine No-Deal-Brexit zugelassen haben.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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