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Verschollener Aussenminister Chinas Affäre um Qin Gang offenbart Unruhe im inneren Machtzirkel

Seit Ende Juni ist der chinesische Aussenminister Qin Gang nicht mehr öffentlich gesehen worden. Peking wollte über die lange Absenz des Ministers bis jetzt keine Auskunft geben. Heute jedoch wurde in den chinesischen Abendnachrichten im Fernsehen bekanntgegeben, dass Qin Gang als Aussenminister abgesetzt wurde.

Die Absetzung des chinesischen Aussenministers Qin Gang wirft mehr Fragen auf, als sie beantworten würde. Denn Peking gibt weder Auskunft darüber noch Hinweise darauf, wieso der verschwundene Topdiplomat heute seines Amtes enthoben wurde.

Die Gerüchteküche brodelt

Hat er gesundheitliche Probleme? Wurde ihm eine Liebesaffäre zum Verhängnis? Oder wurde er von internen Konkurrenten ausgebootet? Über all dies wurde in den vergangenen Wochen spekuliert. Die Gründe bleiben bis heute im Dunkeln. 

Chinas Machtapparat ist eine Blackbox. Wie und warum welche Entscheide getroffen werden, ist für Aussenstehende, auch für langjährige China-Kenner, meist nicht ersichtlich. In dieser Hinsicht ist der Fall Qin Gang nichts Neues.

Und trotzdem ist der Abgang sehr aussergewöhnlich. Mit nur sieben Monaten war Qin Gang kürzer im Amt als alle seine Vorgänger im Aussenministerium der Volksrepublik China. Sieben Monate, die geprägt waren von regen diplomatischen Aktivitäten Chinas und auch einigen aussenpolitischen Erfolgen: In der Krise mit den USA, wo Qin Gang zuvor Botschafter war, gab es jüngst eine Entspannung. Dutzende Ministerinnen, Staats- und Regierungschefs gaben sich in Peking die Klinke in die Hand. Doch seit einem Monat bekamen die ausländischen Besucher den Aussenminister nicht mehr zu Gesicht.

Enge Beziehung zu Präsident Xi Jinping

Dass Qin Gang als Vertrauter von Präsident Xi Jinping gilt, macht sein abruptes Verschwinden noch rätselhafter. Und hinterlässt ein Fragezeichen hinter seiner steilen Karriere im chinesischen Aussenministerium, die er seinen guten Beziehungen zum Präsidenten verdankt.  

So fragen sich heute zahlreiche Beobachterinnen und Beobachter: Hat Präsident Xi auf den falschen Mann gesetzt? Eine unangenehme Frage, die Peking nicht beantworten will. Der Präsident soll von der Affäre unberührt bleiben.

Ersetzt wird Qin Gang von seinem langjährigen Vorgänger Wang Yi, der auf den höchsten aussenpolitischen Posten innerhalb der Kommunistischen Partei befördert worden war. Somit gilt er auch als oberster Diplomat Chinas – noch über dem Aussenminister. Eine Eigenheit des chinesischen Systems.

Wang Yi vertrat den jetzt abgesetzten Aussenminister Qin Gang bereits während dessen Absenz. In seiner Wahl sehen einige China-Experten heute den Wunsch nach einer Rückkehr zur Stabilität – nach den Wirren um Qin Gangs Verschwinden.

Samuel Emch

China-Korrespondent

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Samuel Emch ist seit dem Sommer 2022 Ostasien-Korrespondent für SRF. Zuvor war er während mehrerer Jahre Wirtschaftsredaktor bei SRF.

Echo der Zeit, 25.07.2023, 18:00 Uhr

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