Zum Inhalt springen

Verunsicherung in Fernost Warum sich Japan mit der Zuwanderung schwertut

«Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen», schrieb einst Max Frisch. Eine Erfahrung, die nun auch Japan macht.

Überalterung, niedrige Geburtenrate, wirtschaftlicher Krebsgang: Eigentlich wäre Japan dringend auf Zuwanderung angewiesen. Doch das Inselreich war nie ein Einwandererland, auch wenn es sich zaghaft für ausländische Arbeitskräfte öffnet.

Im letzten Jahr nutzte Joe Biden Japan als Beispiel für eine verfehlte Migrationspolitik: «Warum geht es China wirtschaftlich so schlecht? Warum sind Japan, Indien und Russland in Schwierigkeiten?», fragte der damalige US-Präsident. Die Antwort gab er gleich selbst: «Weil sie fremdenfeindlich sind.»

Erfolg der Rechtspopulisten

Bidens Worte sorgten für Irritationen beim Verbündeten. Die Aussagen seien «unglücklich» und würden auf einem falschen Verständnis der japanischen Politik beruhen, erklärte die Regierung in Tokio. Vor kurzem hat das Thema Zuwanderung allerdings neue Brisanz erhalten.

So konnte die Sanseito-Partei bei den Parlamentswahlen im Juli kräftig zulegen. Ihr Slogan: «Japan First!». Die isolationistische Partei stellt sich gegen Globalisierung und Migration und will den «wahren Geist Japans erhalten».

Proteste gegen Sanseito-Partei in Tokio (Juli 2025)
Legende: Im Wahlkampf nahm Sanseito auch Touristinnen und Touristen und eingewanderte Arbeitskräfte ins Visier. Das fiel bei einem Teil der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden. Wie hier in Tokio kam es aber auch zu Protesten gegen die Partei. Keystone / AP / Louise Delmotte

Hat Japan tatsächlich ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit? Martin Fritz lebt seit 20 Jahren im Land und zeichnet ein differenziertes Bild. Aber auch er bestätigt: Leicht haben es Ausländerinnen und Ausländer in der japanischen Gesellschaft nicht.

Das kann sich in einer höflich-distanzierten Grundskepsis äussern. So musste sich der deutsche Journalist wiederholt einer Frage stellen, die Eingewanderte immer wieder zu hören bekommen: «Wann gehen Sie eigentlich wieder nach Hause?»

Als Problem wurden Ausländer in Japan lange nicht wahrgenommen. Schlicht und einfach, weil es wenige von ihnen gab.
Autor: Martin Fritz Journalist in Japan

Auch auf der Wohnungssuche hätten es Ausländer oft schwer. Manche Wohnungsbesitzer würden gar nicht erst an sie vermieten – aus Angst, sie würden die Miete nicht bezahlen oder plötzlich das Land verlassen. «Als Problem wurden Ausländer aber lange nicht wahrgenommen. Schlicht und einfach, weil es wenige von ihnen gab», sagt Fritz.

Verbreitete Verunsicherung

Das hat sich mittlerweile geändert. Auch, weil sich das Land aufgrund des demografischen Drucks für mehr Zuwanderung geöffnet hat. Seit 2012 hat sich der Ausländeranteil verdoppelt. Mit aktuell etwa drei Prozent ist er aber nach wie vor niedrig.

Gleichzeitig wird Japan als Reiseland immer populärer. Die Klagen über Lärm und schlechtes Benehmen in den touristischen Hotspots nehmen zu. Dazu kommt die Arbeitsmigration, die auch im Alltag sichtbar wird.

Supermarkt in Tokio
Legende: «An den Kassen der über 50'000 Mini-Supermärkte stehen inzwischen Chinesen, Vietnamesen, Indonesier und Nepalesen», berichtet Fritz. «Ihr Japanisch reicht aus, um ihre Arbeit zu erledigen – sie fallen aber als Ausländer auf.» Reuters / Toru Hanai

Zugewanderte, die die Sprache und sozialen Codes erlernen, ernten zwar Respekt und Bewunderung. Die Öffnung gegenüber dem Ausland führe aber auch zu Verunsicherung, glaubt Fritz. «Viele Japaner haben das Gefühl, dass ihre Kultur und ihre Art des Zusammenlebens gefährdet sind.»

Ungeschriebene Gesetze und viele Fettnäpfchen

Box aufklappen Box zuklappen

Bis heute pflegt Japan Traditionen und Umgangsformen, die für Neuankömmlinge nur schwer durchschaubar sind. «Das Zusammenleben beruht darauf, dass die Menschen vielen geschriebenen, aber auch ungeschriebenen Regeln folgen», führt Fritz aus. «Japaner beobachten ständig ihre Umgebung und passen sich daran an. Die Kommunikation verläuft oft ohne viele Worte, trotzdem weiss jeder, was gemeint ist. Das gibt den Leuten hier Sicherheit, auch in den überbevölkerten Metropolen.»

Umso schwieriger wird es für Zugewanderte, sich zu integrieren. Und umso mehr stechen diejenigen heraus, die sich um die verborgenen Codes und Regeln foutieren. Wer sich als Ausländer so richtig danebenbenehmen will, dem liefert Fritz eine «Anleitung» dazu: Auf der Gasse Bier trinken und sich lauthals unterhalten, Frauen in der Öffentlichkeit anflirten, den Müll liegen lassen oder sich auf dem Perron vordrängeln. Was auch bei uns als Affront gilt, ist in Japan mehr als das: Es ritzt am unsichtbaren Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.

Offene Feindseligkeiten sind selten, doch es gibt sie. Fritz spricht von «organisiertem Ausländerhass» am rechten Rand: «Die kleine, aber lautstarke Gruppe geht mit Megafonen in Stadtviertel, in denen viele Koreaner, Chinesen oder Kurden leben, und verlangt, dass sie Japan verlassen.»

Ishiba
Legende: Premier Shigeru Ishiba erklärte, der Diskriminierung von Zugewanderten entschieden entgegenzutreten. Der Staat müsse seine Integrationsbemühungen verstärken – doch auch die Ausländerinnen und Ausländer müssten sich an die Regeln im Land halten. Keystone / EPA / Franck Robichon

Geschickt schürt die Sanseito-Partei die Ressentiments. Ihr Erfolg ist auch ein Versagen der Regierungsparteien. «Sie haben das Wort ‹Einwanderung› vermieden wie der Teufel das Weihwasser», sagt der Korrespondent. «Stattdessen haben sie so getan, als würden diese Einwanderer irgendwann wieder verschwinden.»

Und nun sind es die Rechtspopulisten, die aus dem Gefühl des Kontrollverlustes politisch Kapital schlagen.

Diskutieren Sie mit:

Echo der Zeit, 12.8.2025, 18 Uhr ; 

Meistgelesene Artikel