Überalterung, niedrige Geburtenrate, wirtschaftlicher Krebsgang: Eigentlich wäre Japan dringend auf Zuwanderung angewiesen. Doch das Inselreich war nie ein Einwandererland, auch wenn es sich zaghaft für ausländische Arbeitskräfte öffnet.
Im letzten Jahr nutzte Joe Biden Japan als Beispiel für eine verfehlte Migrationspolitik: «Warum geht es China wirtschaftlich so schlecht? Warum sind Japan, Indien und Russland in Schwierigkeiten?», fragte der damalige US-Präsident. Die Antwort gab er gleich selbst: «Weil sie fremdenfeindlich sind.»
Erfolg der Rechtspopulisten
Bidens Worte sorgten für Irritationen beim Verbündeten. Die Aussagen seien «unglücklich» und würden auf einem falschen Verständnis der japanischen Politik beruhen, erklärte die Regierung in Tokio. Vor kurzem hat das Thema Zuwanderung allerdings neue Brisanz erhalten.
So konnte die Sanseito-Partei bei den Parlamentswahlen im Juli kräftig zulegen. Ihr Slogan: «Japan First!». Die isolationistische Partei stellt sich gegen Globalisierung und Migration und will den «wahren Geist Japans erhalten».
Hat Japan tatsächlich ein Problem mit Fremdenfeindlichkeit? Martin Fritz lebt seit 20 Jahren im Land und zeichnet ein differenziertes Bild. Aber auch er bestätigt: Leicht haben es Ausländerinnen und Ausländer in der japanischen Gesellschaft nicht.
Das kann sich in einer höflich-distanzierten Grundskepsis äussern. So musste sich der deutsche Journalist wiederholt einer Frage stellen, die Eingewanderte immer wieder zu hören bekommen: «Wann gehen Sie eigentlich wieder nach Hause?»
Als Problem wurden Ausländer in Japan lange nicht wahrgenommen. Schlicht und einfach, weil es wenige von ihnen gab.
Auch auf der Wohnungssuche hätten es Ausländer oft schwer. Manche Wohnungsbesitzer würden gar nicht erst an sie vermieten – aus Angst, sie würden die Miete nicht bezahlen oder plötzlich das Land verlassen. «Als Problem wurden Ausländer aber lange nicht wahrgenommen. Schlicht und einfach, weil es wenige von ihnen gab», sagt Fritz.
Verbreitete Verunsicherung
Das hat sich mittlerweile geändert. Auch, weil sich das Land aufgrund des demografischen Drucks für mehr Zuwanderung geöffnet hat. Seit 2012 hat sich der Ausländeranteil verdoppelt. Mit aktuell etwa drei Prozent ist er aber nach wie vor niedrig.
Gleichzeitig wird Japan als Reiseland immer populärer. Die Klagen über Lärm und schlechtes Benehmen in den touristischen Hotspots nehmen zu. Dazu kommt die Arbeitsmigration, die auch im Alltag sichtbar wird.
Zugewanderte, die die Sprache und sozialen Codes erlernen, ernten zwar Respekt und Bewunderung. Die Öffnung gegenüber dem Ausland führe aber auch zu Verunsicherung, glaubt Fritz. «Viele Japaner haben das Gefühl, dass ihre Kultur und ihre Art des Zusammenlebens gefährdet sind.»
Offene Feindseligkeiten sind selten, doch es gibt sie. Fritz spricht von «organisiertem Ausländerhass» am rechten Rand: «Die kleine, aber lautstarke Gruppe geht mit Megafonen in Stadtviertel, in denen viele Koreaner, Chinesen oder Kurden leben, und verlangt, dass sie Japan verlassen.»
Geschickt schürt die Sanseito-Partei die Ressentiments. Ihr Erfolg ist auch ein Versagen der Regierungsparteien. «Sie haben das Wort ‹Einwanderung› vermieden wie der Teufel das Weihwasser», sagt der Korrespondent. «Stattdessen haben sie so getan, als würden diese Einwanderer irgendwann wieder verschwinden.»
Und nun sind es die Rechtspopulisten, die aus dem Gefühl des Kontrollverlustes politisch Kapital schlagen.